Neuregelung zum 1.1.2020 durch das Angehörigenentlastungs- und das Bundesteilhabegesetz

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Bedürftige Eltern, die zur Beseitigung ihrer Notlage Sozialhilfe beziehen möchten, müssen zuvor ihr eigenes Einkommen und Vermögen und das ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten/Lebenspartners einsetzen bzw. verwerten, es sei denn dieses Einkommen/vermögen wäre ausdrücklich "normativ geschützt". Als normativer Schutz im Sinne der Rechtsprechung des BSG wirkt auch die gesetzgeberische Festlegung, dass etwas nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Das gibt es nur im sehr übersichtlichen Umfang. Mit dem Angehörigenentlastungsgesetz hat der Gesetzgeber ab 1.1.2020 eine steuerlich zu ermittelnde 100.000-Euro-Grenze für unterhaltspflichtige Kinder bedürftiger Eltern im SGB XII eingeführt und bestimmt, dass Unterhalt, der aus einem solchen Grenzeinkommen unterhaltsrechtlich berechnet werden kann, nicht als Einkommen im Sinne der §§ 82 ff., 92 SGB XII gilt und deshalb ein solcher Anspruch auch nicht auf den Sozialhilfeträger übergehen kann. Damit ist der Elternunterhalt für eine große Personengruppe endgültig erledigt. Für die verbliebene Personengruppe, die die 100.000 EUR-Grenze überschreitet, fängt es aber erst richtig an. Dafür wird man auf die allgemeinen Regeln zur unterhaltsrechtlichen Ermittlung von Bedarf ("Welches Heim darf's denn sein?), Bedürftigkeit ("Kann der daheimgebliebene Elternteil z.B. den Verbleib im Eigentum beanspruchen?") weitestgehend wie bisher weiter zurückgreifen. "Die Musik spielt" aber beim angemessenen Selbstbehalt und der Frage, welche Abzugs- und Zuzugsposten hierfür unterhaltsrechtlich jetzt noch zugrunde gelegt werden dürfen. Nahezu alles dazu ist noch ungeklärt. Damit setzt sich der nachfolgende Text auseinander und schließt an die Grundvoraussetzungen aus Teil 1 – die 100.000-Euro-Grenze an."

II. Was bedeutet das Unterschreiten der 100.000-Euro-Grenze für das Unterhaltsrecht?

Wer im Wege der steuerrechtlichen Ermittlung nicht mehr als 100.000 EUR jährlich erzielt, ist zwar nach dem Buchstaben des Gesetzes unterhaltsrechtlich nach wie vor unterhaltspflichtig; er wird aber sozialhilferechtlich nicht mehr in Anspruch genommen. Der Einsatz als Einkommen i.S.v. § 82 EStG wird vom bedürftigen Elternteil nicht mehr verlangt. Ein Rechtsträgerwechsel nach § 94 SGB XII findet konsequenterweise nicht mehr statt.

Das verursacht Wechselwirkungen zum Unterhaltsrecht. Das Verhältnis von materiellem Unterhaltsrecht (§§ 1601 ff. BGB) und dem Verzicht auf Sozialhilferegress (§ 94 Abs. 1a SGB XII) ist rechtstheoretisch und rechtssystematisch nicht wirklich durchdrungen.

Der unterhaltsrechtliche Bedarf von Eltern bestimmt sich nach § 1610 BGB nach der eigenen Lebensstellung, nicht etwa nach der gehobenen Lebensstellung eines unterhaltspflichtigen Kindes. Die Lebensstellung ist nicht unveränderlich, sondern passt sich auch den nachteiligen Veränderungen der Einkommensverhältnisse an. Sind die Eltern sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich der Lebensstandard auf das Existenzminimum. Das Existenzminimum wird im Sozialhilferecht unter Geltung des Subsidiaritätsprinzips durch die Grundsicherung (§§ 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII) und die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 19 Abs. 1 und 27 ff. SGB XII) abgesichert. In der Vergangenheit sollte über § 43 Abs. 5 SGB XII a.F. ein unterhaltsrechtlich aus bis zu 100.000 EUR errechneter Unterhaltsanspruch in Durchbrechung des Subsidiaritätsprinzips in der Grundsicherung aber nicht mehr als Einkommen angerechnet werden. Das macht eigentlich eine Nachrangigkeit der Grundsicherungsleistung als Einkommen im Unterhaltsrecht nötig.

Die zivilrechtliche Rechtsprechung hat sich mit dieser rechtlichen Gestaltung bereits in der Vergangenheit schwergetan und sich letztlich nicht anders zu helfen gewusst, als die sozialhilferechtliche Grundsicherungsleistung als eine Leistung zu betrachten, für die das sozialhilferechtliche Subsidiaritätsprinzip dann eben doch nicht gelten soll, so dass jeder Bedürftige vorrangig vor Unterhaltsansprüchen nach §§ 1601 ff. BGB immer erst einmal Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII in Anspruch nehmen muss. Dazu der BGH:

Zitat

"Nach § 1602 Abs. 1 BGB ist unterhaltsberechtigt nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Zum unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommen zählen grundsätzlich sämtliche Einkünfte, wenn sie geeignet sind, den gegenwärtigen Lebensbedarf des Einkommensbeziehers sicherzustellen. Dazu können auch dem Unterhaltsgläubiger zu gewährende Grundsicherungsleistungen gehören, wenn sie – anders als etwa Sozialhilfe- und Unterhaltsvorschussleistungen – nicht subsidiär sind. Nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII, der der bis zum 31.12.2004 geltenden, inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG entspricht, bleiben Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches unter einem Betrag von 100.000 EUR liegt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erfolgen die Grundsicherungsleistungen nicht nachrangig. ...

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