Leitsatz

Ist die Möglichkeit zur Adoption des Stiefkindes allein für nichteheliche Familien ausgeschlossen, so verstößt dies gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot. Das gesetzliche Ziel, eine Stiefkindadoption nur in Beziehungen zwischen Elternteil und Stiefelternteil zuzulassen, die stabil und beständig zu sein scheinen, ist legitim. Sind das Elternteil und das Stiefelternteil verheiratet, so ist dies ein Indikator für die Stabilität der Beziehung, welcher vom Gesetzgeber verwendet werden kann. Ein genereller Ausschluss der Adoption des Stiefkindes für nichteheliche Familien kann nicht gerechtfertigt werden, da das Stiefkind auf andere Weise vor einer nachteiligen Adoption hinreichend wirksam geschützt werden kann.

BVerfG, Beschluss vom 26. März 2019 – 1 BvR 673/17

Aus den Gründen

A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es verfassungsgemäß ist, die Möglichkeit einer zur gemeinsamen Elternschaft führenden Stiefkindadoption davon abhängig zu machen, dass der Stiefelternteil mit dem Elternteil verheiratet ist.

I. Nach derzeitiger Rechtslage ist eine zur gemeinsamen Elternschaft führende Stiefkindadoption nur möglich, wenn der Stiefelternteil mit dem rechtlichen Elternteil verheiratet ist, wohingegen der Stiefelternteil in nichtehelichen Stiefkindfamilien die Kinder des rechtlichen Elternteils nicht adoptieren kann, ohne dass die Verwandtschaft der Kinder zu diesem erlischt (§ 1754 Abs. 1 und Abs. 2 und § 1755 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB). Zwischen dem nicht verheirateten Stiefelternteil und dem Kind bestehen ohne Adoption keine besonderen gesetzlichen Rechtsbeziehungen.

1. Die Regelung der Stiefkindadoption geht im Wesentlichen auf das Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2. Juli 1976 zurück (BGBl I S. 1749), welches das Adoptionsrecht grundlegend neu geregelt hat. Im Mittelpunkt der Reform stand die Annahme Minderjähriger. Die Annahme eines Kindes sollte "nicht mehr den Fortbestand des Namens und des Vermögens sichern, sondern einem Kind, das ein gesundes Zuhause entbehren muss, eine Familie geben" (BTDrucks 7/3061, S. 1). Es wurde die sogenannte Volladoption eingeführt, die grundsätzlich zur völligen Trennung des adoptierten Kindes von seiner bisherigen rechtlichen Familie und zu seiner vollen Integration in die aufnehmende Familie führt.

2. Die Stiefkindadoption ist in nichtehelichen Familien nach geltendem Recht dadurch faktisch ausgeschlossen, dass mit der Adoption jedes bislang bestehende Elternverhältnis erlöschen würde, das Kind dann also nur noch den Stiefelternteil als rechtlichen Elternteil hätte, was typischerweise nicht im Interesse der Beteiligten liegt. Das Erlöschen der Elternschaft folgt in dieser Konstellation aus dem Zusammenspiel mehrerer einfachgesetzlicher Regelungen.

§ 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet an, dass mit der Annahme das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Im Fall der Stiefkindadoption erlischt demnach nicht nur die Verwandtschaft zur Familie des (regelmäßig ohnehin sozial entfernteren) "außenstehenden" Elternteils, sondern auch zur Familie des "bleibenden" Elternteils. § 1755 Abs. 2 BGB macht hiervon zwar gerade für die Stiefkindadoption eine Ausnahme. Dort ist geregelt, dass im Fall der Stiefkindadoption das Erlöschen nur im Verhältnis zu dem außenstehenden Elternteil und dessen Verwandten eintritt; die Verwandtschaft zum bleibenden Elternteil besteht also fort. Das gilt jedoch nur dann, wenn ein Stiefelternteil das Kind seines Ehegatten annimmt. Im Fall der ehelichen Stiefkindfamilie bleibt also der ursprüngliche Elternteil neben seinem annehmenden Ehegatten weiterhin Elternteil, wohingegen die Elternschaft des außenstehenden ursprünglichen Elternteils erlischt. Für die Annahme durch einen nicht verheirateten Stiefelternteil ist keine Ausnahme von der allgemeinen Erlöschensfolge des § 1755 Abs. 1 BGB vorgesehen:

§ 1755 BGB

(1) Mit der Annahme erlöschen das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten. Ansprüche des Kindes, die bis zur Annahme entstanden sind, insbesondere auf Renten, Waisengeld und andere entsprechende wiederkehrende Leistungen, werden durch die Annahme nicht berührt; dies gilt nicht für Unterhaltsansprüche.

(2) Nimmt ein Ehegatte das Kind seines Ehegatten an, so tritt das Erlöschen nur im Verhältnis zu dem anderen Elternteil und dessen Verwandten ein.

Das Verwandtschaftsverhältnis erlischt im Verhältnis zu den Verwandten des außenstehenden Elternteils ausnahmsweise nicht, wenn dieser die elterliche Sorge hatte und verstorben ist (§ 1756 Abs. 2 BGB).

Der Erlöschensregelung entsprechend ist auch die Stellung des Kindes geregelt. Grundsätzlich erlangt das Kind durch Adoption die rechtliche Stellung eines Kindes allein des Annehmenden (§ 1754 Abs. 2 BGB). Nur im Fall der gemeinschaftlichen Adoption durch ein Ehepaar...

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