aa) Die rechtsgeschichtlichen und rechtsdogmatischen Grundlagen der Rechtsfigur des Vertrags zugunsten Dritter

(1) Der römisch-rechtliche Grundsatz des "alteri stipulari nemo potest" als Ausgangspunkt

Das BGB setzt in § 311 Abs. 1[20]/§ 305 BGB aF für das Bestehen eines Schuldverhältnisses grundsätzlich einen Vertrag zwischen den Beteiligten voraus, ermöglicht aber als Ausnahme von diesem Grundsatz in § 328 Abs. 1, dass durch Vertrag einem Dritten, der selbst nicht Vertragspartner ist, eine Leistung mit der Wirkung versprochen wird, dass dieser unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern.[21]

Das klassische römische Recht folgte dagegen dem Grundsatz "alteri stipulari nemo potest"[22] (niemand kann sich etwas für einen anderen – lies: zugunsten eines Dritten – versprechen lassen) und kannte daher Verträge zugunsten Dritter als solche nicht. Für seine gemeinrechtlich rezipierte Form war jedoch das pactum in favorem tertii anerkannt, der Vertrag auf Leistung an einen Dritten, bei dem der Versprechensempfänger nicht als Stellvertreter des Dritten, sondern in eigenem Namen kontrahiert, aber dennoch dem Dritten ein eigenes Forderungsrecht gegen den Versprechenden eingeräumt wird.[23]

[20] BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001 (BGBl I, S. 3138).
[21] Vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I. Bd. – Allgemeiner Teil, 14. Aufl. (1987), § 17 I a (S. 217 ff, hier S. 219); s. auch grundlegend Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter, 1995, S. 1 ff passim; Medicus, Durchblick: Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (618); Mugdan, aaO (Fn 6), II. Bd., S. 704 f; Peters, MDR 1995, 659 (660).
[22] Ulp., D. 45.1.38.17.
[23] Vgl. die amtlichen Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Motive), Bd. II, 1896, S. 265 ff (§ 412); Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, bearb. v. Kipp, Bd. 2, 9. Aufl. (1906, 2. Neudruck 1984), §§ 316, 316a (S. 295 ff, 304 ff).

(2) Das französische Recht

Das französische Recht[24] hält noch an der Regel des römischen Rechts fest und lässt demzufolge nur in bestimmten Ausnahmefällen das Versprechen der Leistung an einen Dritten zu, das aber bis zur Annahme (Akzeptation) durch den Dritten widerrufen werden kann. Nach Art. 1121 S. 1 des franz. Code civil v. 1804[25] ist eine Stipulation zugunsten eines Dritten zulässig: ›On peut ... stipuler au profit d‘un tiers, lorsque telle est la condition d‘une stipulation que l‘on fait pour soi-même ou d‘une donation que l‘on fait à un autre‹.[26] Dies wird für den Versprechensempfänger unwiderruflich, ›si le tiers a déclaré vouloir en profiter‹ (S. 2 leg. cit.). Von dieser Grundlage ausgehend, hat die Rechtsprechung allerdings insbesondere für den wichtigen Fall der Lebensversicherung Regeln entwickeln müssen,[27] dabei aber den Grundsatz des S. 2 leg. cit. streng durchgeführt. Auch das franz. Versicherungsgesetz (Code des assurances) aus dem Jahre 1930 lässt zwar in Art. L 132-8[28] die Ersetzung des ursprünglich Begünstigten durch einen anderen zu, jedoch nur, solange der ursprünglich Begünstigte noch nicht die "Annahme" erklärt hat.[29]

[24] Art. 1165, 1119, 1121 franz. Code civil v. 1804.
[25] Zum Code civil s. Kern, Die französische Gesetzgebung unter Napoleon, JuS 1997, 11 (12 f); Witz/Kull, Der französische Code civil – Bestandsaufnahme nach 200 Jahren, NJW 2004, 3757; s. auch die Rede, die Bundesministerin Zypries am 21.10.2004 in Straßburg aus Anlass des 200-jährigen Jubiläums dieses Kodifikationswerks gehalten hat (Pressestelle des BMJ, "Bundesjustizministerin Zypries: Der Code Civil ist und bleibt ein Vorbild an Rechtsgestaltung", Text: www.bmj.bund.de; Zugriff am 11.9.2008).
[26] Motive, aaO (Fn 23), Bd. II, S. 265 ff, insbes. S. 267.
[27] Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. (1996), § 7 III (S. 92 ff, insbes. S. 94); Muir/Simpson, Third Party Rights and Stipulation pour autrui in Modern Guernsey Law, The Jersey Law Review, June 2006 (www.jerseylaw.je/Publications/jerseylawreview/june06/JLR0606_Muir.aspx; Zugriff am 11.9.2008); s. auch Nicholas, The French Law of Contract, 1992, p. 184; Witz/Kull, NJW 2004, 3757 (3760).
[28] IdF des Art. 5 des franz. Gesetzes Nr. 2007/1775 v. 17.12.2007.
[29] Vgl. Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996, S. 395 ff, insbes. S. 396; Kühl, Der Einsatz von Lebensversicherungen als Kreditsicherungsmittel in Deutschland und Frankreich, Heft 108 der Hamburger Reihe A, 2005, S. 62 f – In Art. L 132-8 Code des assurances heißt es u. a.: ›En l‘absence de désignation d‘un bénéficiaire dans la police ou à défaut d‘acceptation par le bénéficiaire, le contractant a le droit de désigner un bénéficiaire ou de substituer un bénéficiaire à un autre‹.

(3) Das schweizerische Recht

Auch das schweizerische Recht sieht die "Annahme" durch den Dritten vor und bestimmt, dass der Gläubiger den Schuldner nicht mehr entbinden kann, sobald der begünstigte Dritte dem Schuldner erklärt hat, von seinem Recht Gebrauch machen zu wollen (Art. 112 Abs. 3 des schweiz. OR[30])[31]. Allerdings wird dieser Grundsatz oft dadurch eingeschränkt, dass für den praktisch besonders wichtigen Fall, dass die Leistung an den Dritten erst nach dem Tode des Versprechensempfängers zu erbringen ist...

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