Es fragt sich, ob § 2023 BGB analog für die Fälle heranzuziehen ist, in denen der Erbschaftsbesitzer Beteiligter am Erbscheinerteilungsverfahren ist. Die hierfür erforderliche planwidrige Regelungslücke würde vorliegen, wenn der zu beurteilende Sachverhalt nach Sinn und Zweck der betreffenden Norm zwar von ihr erfasst sein sollte, aufgrund ihres engen Wortlautes aber trotz teleologischer, am Gesetzeszweck orientierter Auslegung nicht darunter subsumiert werden kann.[8]

Sinn und Zweck des § 2023 ist, den verklagten Erbschaftsbesitzer einer verschärften Haftung hinsichtlich der zum Nachlass gehörenden Gegenstände zu unterziehen, weil er durch die Rechtshängigkeit, also durch die Zustellung der sich auf den Erbschaftsanspruch gründenden Klageschrift weiß oder jedenfalls damit rechnen muss, dass nicht er, sondern ein anderer Erbe ist[9] und er deswegen eben jene Nachlassgegenstände an den Kläger herauszugeben hat. Es ist sicher nicht zu leugnen, dass auch der am Erbscheinerteilungsverfahren beteiligte Erbschaftsbesitzer damit rechnen muss, die in seinem Besitz befindlichen Nachlassgegenstände an einen Dritten herauszugeben, weil dem Dritten möglicherweise der Erbschein antragsgemäß erteilt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Erbschaftsbesitzer selbst einen – gegenläufigen – Erbscheinsantrag gestellt hat und deswegen als Beteiligter im Erteilungsverfahren in Betracht kommt oder ob er als materiell Betroffener nach § 2360 Abs. 1 und 2 BGB angehört wird. In beiden Fällen erlangt er Kenntnis davon, dass (auch) ein Dritter beansprucht, als Erbe zu gelten, der später gegebenenfalls seinen Erbschaftsanspruch nach den §§ 2018 ff BGB gegen ihn geltend macht.

Nach der Intention des Gesetzgebers[10] und der insoweit einhelligen Auffassung des Schrifttums[11] und der Rechtsprechung[12] soll der Erbschaftsanspruch als einheitlicher Gesamtanspruch angesehen werden, der neben den Einzelansprüchen des Erben (z. B. vindikativer, possessorischer, deliktischer oder kondiktorischer Art) besteht. "Einheitlicher Gesamtanspruch" meint dabei, dass der Erbschaftsanspruch auf die Herausgabe des Nachlasses als Gesamtheit gerichtet ist und dass das Streitobjekt der Nachlass als Vermögensgesamtheit ist, der in besonderer Weise davor geschützt werden müsse, in alle Winde verstreut zu werden.[13] Selbst wenn nur ein einziger Nachlassgegenstand im Verfahren nach den §§ 2018 ff BGB streitgegenständlich ist, gründet sich das Bestreben des Erbprätendenten auf sein Erbrecht und damit potenziell auf den gesamten Nachlass.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Erbe vom Erbschaftsbesitzer prozessual die Herausgabe einer Vermögensgesamtheit (z. B. "Herausgabe des Nachlasses" oder "Herausgabe aller zum Nachlass gehörenden Gegenstände") geltend machen kann. Stets müssen im Klageantrag die herausverlangten Gegenstände einzeln bezeichnet werden, was prozessual dem Bestimmtheitserfordernis aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sowie der Bestimmung der Rechtskrafterstreckung und des Umfangs der Rechtshängigkeit geschuldet ist und im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung (§ 883 ZPO) zweckmäßig ist. Materiellrechtlich ergibt sich dieses Erfordernis aus der gesetzlichen Systematik der §§ 2018 ff BGB: So ist der gutgläubig unverklagte und undeliktische Erbschaftsbesitzer allein nach Bereicherungsrecht herausgabepflichtig, § 2021 BGB, und schuldet daher nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz nur für solche im Einzelnen zu bestimmenden Nachlassgegenstände, die z. B. untergegangen sind oder sonst nicht herausgegeben werden können. Er kann sich ferner auch auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen, wobei als Entreicherungspositionen wiederum nur konkrete Nachlassgegenstände in Betracht kommen können. Sein Verwendungsersatzanspruch gegen den Erben nach § 2022 Abs. 1 BGB ist – vom unkörperlichen und gesamtheitlichen Aufwendungsersatzanspruch nach § 2022 Abs. 2 BGB einmal abgesehen – gleichsam notwendig einzelgegenstandsbezogen.

Noch deutlicher wird dies bei der Haftung des deliktischen Erbschaftsbesitzers nach § 2025 BGB: Bereits nach dem Wortlaut des § 2025 S. 1 BGB besteht die Haftungsverschärfung nur hinsichtlich des "Erbschaftsgegenstandes", der durch eine Straftat oder durch verbotene Eigenmacht erlangt wurde. § 2025 S. 1 BGB greift zwar auch, wenn der Erbschaftsbesitzer die ganze Erbschaft deliktisch (z. B. durch eine Urkundenfälschung) erlangt hat.[14] Gleichwohl bezieht sich die deliktische Haftung immer nur auf den konkreten Gegenstand, der auf diese Weise erlangt wurde.[15] MaW: Hat der Erbschaftsbesitzer einen Nachlassgegenstand deliktisch oder durch verbotene Eigenmacht erlangt, haftet er verschärft nach § 2025 BGB nicht ohne Weiteres auch für die übrigen zum Nachlass gehörenden Gegenstände.

Nichts anderes gilt für den verklagten bzw. bösgläubigen Erbschaftsbesitzer, dessen Haftungsverschärfung nach den §§ 2023, 2024 Abs. 1 BGB sich nur auf die Nachlassgegenstände erstrecken kann, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere der hier fokuss...

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