Leitsatz

Die Frage, ob der Erblasser eine konkludente Rechtswahl im Sinne von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO getroffen hat, ist unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht zu beurteilen (hier: Wahl des deutschen Rechts für die Bindungswirkung in einem zwischen einer deutschen Erblasserin und ihrem österreichischen Ehemann geschlossenen Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO).

BGH, Beschl. v. 24.2.2021 – IV ZB 33/20

1 Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beteiligten zu 1 und 2 oder die Beteiligten zu 3 bis 6 Miterben der am 22. Mai 2017 verstorbenen deutschen Staatsangehörigen Dr. H. B. (im Folgenden: Erblasserin) geworden sind. Die Erblasserin sowie ihr am 19. Juni 2003 vorverstorbener Ehemann, österreichischer Staatsangehöriger, hatten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt seit 1995 in Bad Reichenhall. Am 25. März 1996 errichteten sie in zwei getrennten, aber im Wesentlichen wortgleichen eigenhändig ge- und unterschriebenen Urkunden zwei mit "Gemeinschaftliches Testament" überschriebene Schriftstücke folgenden Wortlauts:

"Ich, Frau Dr. H.B. […] bin deutsche Staatsangehörige und habe keine Kinder."

Ich, Herr Prof. E.G. […] bin österreichischer Staatsangehöriger und habe als einzigen Abkömmling meine am […] geborene Tochter […], die ihrerseits verheiratet und österreichische Staatsangehörige ist.

Wir sind miteinander seit 30.V.95 verheiratet …

I. Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.

II. Nach dem Tod des Zweiten von uns sollen gemeinsame Schlusserben

a) Frau G.G. […]

b) Herr U.G. […]

c) Frau B.G. […]

d) Frau S.H. […]

(Beteiligte zu 3 bis 6)

zu gleichen Teilen sein.

III. Die hier getroffene Verfügung von Todes wegen (Erbeinsetzung, Schlusserbeneinsetzung u. Vermächtnisanordnung) sind wechselseitig verbindlich. Sie können zu unserer beider Lebzeiten nur gemeinschaftlich aufgehoben werden. Nach dem Tod eines von uns beiden ist der überlebende Ehegatte nicht mehr berechtigt, die Erbeinsetzungen und Vermächtnisanordnung abzuändern. […]“

Die am 10.10.2017 nachverstorbene Beteiligte zu 4 ist die Schwester der Erblasserin, die Beteiligten zu 3, 5 und 6 sind die Kinder der Beteiligten zu 4. Mit Testament vom 7.11.2013 verfügte die Erblasserin, dass sie ihr "Haus und Inventar" sowie ihr "Barvermögen" den Beteiligten zu 1 und 2 vererbe. Bereits mit einem auf den 1. November 2011 datierten Testament hatte sie angeordnet, dass die Beteiligte zu 1 nach ihrem Ableben 30.000 EUR und diverse Möbelstücke erhalten solle. In einem weiteren eigenhändig ge- und unterschriebenen Schreiben der Erblasserin vom 4.12.2013 heißt es unter anderem:

"Sollte meine Schwester oder mein Neffe sowie Nichten von meinen Konten Geld abgehoben haben, müssen sie diese an den Erben zurückbezahlt werden. Ich hatte ihnen nie erlaubt Geld abzuheben."

Dieses Geld gehört zur Erbmasse […]“

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins des Inhalts beantragt, dass sie Erben zu je ½ geworden sind. Das Nachlassgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 19.4.2018 zurückgewiesen, da sich die Erbfolge nach dem am 25.3.1996 errichteten gemeinschaftlichen Testament richte. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, mit der sie ihren Erbscheinsantrag weiterverfolgen.

2 Gründe

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZEV 2021, 28 (m. Anm. von Bary a.a.O. 38) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die Erbfolge nach der Erblasserin richte sich nach dem wirksamen gemeinschaftlichen Testament vom 25.3.1996, dessen Bindungswirkung den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstehe. Die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments, das unionsrechtlich einen Erbvertrag darstelle, richte sich nach dem durch Art. 83 Abs. 3, 1. Alt. i.V.m. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: EuErbVO) berufenen deutschen Recht als Recht des Staates, in dem die Erblasserin sowie ihr Ehemann ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten. Das gemeinschaftliche Testament sei ferner gemäß Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO formell und materiell wirksam. Auch insoweit sei jeweils auf deutsches Recht abzustellen. Schließlich entfalte das gemeinschaftliche Testament vom 25.3.1996 Bindungswirkung, die den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstehe. Auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments finde deutsches Recht Anwendung. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden konkludenten Rechtswahl. Nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO könnten die Parteien eines Erbvertrages im ...

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