a) Die objektive Bestimmung

Die rechtliche Gültigkeit einer bestimmten Verfügung von Todes wegen auf Enterbung hängt von der Existenz einer Reihe objektiver und subjektiver Voraussetzungen im konkreten Fall ab.[34]

Erstens sollte die Verletzung familienrechtlicher Verpflichtungen geeignet sein, die familiären Bindungen objektiv zu gefährden.[35] Die Verletzung der familienrechtlichen Verpflichtungen hat eine Enterbung zur Folge, sofern die pflichtteilsberechtigten Erben durch eine aktive oder passive Handlung diese verschulden.[36] Allerdings ist ein "Verschulden" an sich nicht ausreichend.[37] Andererseits sollte diese Verletzung der familienrechtlichen Verpflichtungen nicht nur aufgrund eines einfachen Verschuldens erfolgen, sondern diese muss zugleich "schwerwiegend" sein.[38]

[34] Dural/Öz, 208; Serozan/Engin, § 4 N 186 ff.; Yağcı, 183 ff.
[35] Dural/Öz, 208; Antalya, 217. Für die Kriterien zu diesem Thema siehe Yağcı, 191 ff.
[36] Laut Yağcı stimmt der Begriff "Verschulden" im Bereich des Schuldrechts nicht vollständig mit dem Begriff im Bereich des Familienrechts überein. Wichtig ist hier, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe mit dem Bewusstsein gehandelt hat, die Familienbande zu brechen. Yağcı, 180-181.
[37] Dural/Öz, 208.
[38] Kocayusufpaşaoğlu, 313. Siehe für eine andere Ansicht Yağcı, 185-186.

b) Die subjektive Bestimmung

Es reicht nicht aus, dass das Verhalten des Pflichtteilserben nur objektiv im Widerspruch zu den Verpflichtungen aus dem Familienrecht ist, um die familiären Bindungen zu beinträchtigen. Diese Verletzung, die auf dem Verschuldensprinzip beruht,[39] muss auch die familiären Bindungen zwischen dem Erblasser und den Erben subjektiv durchtrennt haben.[40] Eine sogenannte Entfremdung des Erblassers hinsichtlich dieser Beziehung ist demnach ausschlaggebend. Dabei spielt vor allem die subjektive Einschätzung des Erblassers eine wichtige Rolle. Insofern werden persönliche Empfindlichkeiten, Schwächen und der Lebensstil des Erblassers bei der subjektiven Beurteilung berücksichtigt.[41]

Zum Beispiel ist der sogenannte "Ehebruch" eine der Handlungen, der die Familienbande objektiv bricht. Ebenso wird er als ein absoluter Scheidungsgrund, der bei Vorhandensein dem Richter keinen Ermessensspielraum einräumt, angesehen.[42] Folglich kann ein Ehebruch auch als ein möglicher Grund für eine Enterbung sein. Andererseits ist der Ehebruch gleichzeitig einer der besonderen Scheidungsgründe. Daher sollte in einem solchen Fall auch der subjektive Status der Ehegatten zeitlich nach dem Ehebruch beurteilt werden. Somit kann der Ehebruch auch nicht mehr als Grund für die Enterbung angesehen werden, wenn einer der Ehegatten dem ehebrecherischen Ehegatten verzeiht oder ihn gemäß Artikel 161 des türk. ZGB binnen 6’Monaten ab Kenntnis des Ehebruches oder binnen 5’Jahre ab dem Ehebruch nicht zur Ehescheidung verklagt. Falls die letztlich genannten Fristen verstrichen sind und eine Klage dagegen nicht erhoben wurde, ist es nämlich nicht mehr möglich eine Scheidung aufgrund des Ehebruchs einzureichen. Dementsprechend ist eine Enterbung auch nicht mehr möglich.[43]

Im Fall eines Rechtsstreits ist es im Ermessen des Richters zu entscheiden, welche Handlungen einen Grund für die Enterbung darstellen können.[44] Nach den Entscheidungen des Kassationshofs ist es ersichtlich, dass die physische oder emotionale Gewalt, die Beleidigungen, die unterlassene Hilfe etc. als Gründe der Enterbung akzeptiert werden.[45] Andererseits werden abstrakte Verhaltensweisen wie z.B. eine nicht "genehmigte" Ehe oder Beziehung, der Auszug aus dem Elternhaus, die Wahl eines nicht "genehmigten" Berufes, die Missachtung und die Unehrerbietigkeit nicht als Grund für die Enterbung angesehen.[46] Ebenso sollte die Rechtsausübung von gesetzlichen Rechten, zum Beispiel gegen die Eltern zu klagen, die die Kosten der Erziehung nicht tragen oder vor Gericht gegen den Erblasser auszusagen, nicht als "gerechtfertigter" Grund für die Enterbung angesehen werden.[47]

Jeder sollte in der Lage sein, sein Leben zu gestalten und seine Beziehungen aufzubauen. Dies sollte als Grenze dieser Bestimmung berücksichtigt werden.[48] Darüber hinaus, wie bereits oben erwähnt, erfordert die Abschwächung des Konzepts des Pflichtteils eine vielseitige Beurteilung der Gründe für die Enterbung, die im Ermessen des Erblassers liegen. Zweifellos sollte der Richter hier das Gleichgewicht finden.[49]

Auf der anderen Seite ist ein Verhalten, das in Übereinstimmung mit dem der "schweren Straftat" steht, dahingehend zu interpretieren, welche als ein weiterer Grund für die Enterbung in Artikel 510 des türkischen ZGB angesehen wird.[50]

[39] Kocayusufpaşaoğlu, 312; Özuğur, 177.
[40] Dural/Öz, 208; Yağcı, 188 ff.; Antalya, 217.
[41] Yağcı, 195 ff.
[42] Kocayusufpaşaoğlu ist der Ansicht, dass in einem solchen Fall auch der Grund für die Enterbung unter dem türk. ZGB Art. 510 Abs. 1 vorliegt. Kocayusufpaşaoğlu, 312. Siehe zur Entscheidung des Kassationshofs zu dieser Sache, "… Darüber hinaus ist eine der Folgen einer Verletzung der Treuepflicht ist Ent...

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