Schließlich wäre der Vollständigkeit halber noch zu erörtern, was geschieht, wenn S1 in den Beispielsfällen die ihm hinterlassene Erbschaft nicht ausschlägt.

4.3.1 Allgemeines

Zunächst hat es nach diesseits vertretener Ansicht bei dem Grundsatz zu bleiben, dass der Erbe die ihm hinterlassene Erbschaft mit allen Beschwerungen und Beschränkungen anzunehmen und demnach auch ihn belastende Vermächtnisse zu bedienen hätte.

Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, bei der Ermittlung eines bestehenden Pflichtteilsergänzungsanspruchs von der Regel abzuweichen und nicht vom Rohwert des unbelasteten Erbteils auszugehen (s. o. 1.2.2.2), wenn es um die Kürzung geht. Es erscheint folgerichtig, den Ergänzungsbetrag auch weiterhin auf die Differenz zwischen Gesamtpflichtteil und dem Wert des unbelasteten Erbteils zu kürzen.

4.3.1.1 Beispielsfall 1

Da S1 die Erbschaft angenommen hat, ist das Vermächtnis zugunsten von S2 vorab vom Nachlass in Abzug zu bringen, sodass (60.000,00 EUR ./. 10.000,00 EUR =) 50.000,00 EUR verblieben. Hiervon könnte S1 aufgrund seiner Erbquote 12.500,00 EUR beanspruchen.

Bei einem fiktiven Nachlass von 100.000,00 EUR und einem sich hieraus ergebenden Gesamtpflichtteil von 25.000,00 EUR ergäbe sich ein Ergänzungsbetrag von 12.500,00 EUR. Dieser wäre zu kürzen auf (25.000,00 EUR ./. 15.000,00 EUR =) 10.000,00 EUR. S1 bekäme insgesamt 22.500,00 EUR; S2 (60.000,00 EUR ./. 22.500,00 EUR =) 37.500,00 EUR, und wäre damit alleiniger Schuldner des Ergänzungsanspruchs des S1 (§ 2328 BGB).

4.3.1.2 Beispielsfall 2

Hier ergäbe sich eine tatsächliche Nachlassbeteiligung des S1 von ebenfalls 12.500,00. Der fiktive Nachlass indes würde sich aufgrund des Abschmelzungsmodells des § 2325 Abs. 3 BGB verringern auf 80.000,00 EUR, da die Schenkung an die Lebensgefährtin nur noch zur Hälfte zu Buche schlägt.

Das führt zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch von (20.000,00 EUR ./. 12.500,00 EUR =) 7.500,00 EUR, der auf 5.000,00 EUR zu kürzen ist, der Differenz zwischen Gesamtpflichtteil und dem Wert des unbelasteten Erbteils. Der Anspruch richtet sich abermals gegen S2, dem (10.000,00 EUR + 37.500,00 EUR ./. 5.000,00 EUR =) 42.500,00 EUR verblieben.

4.3.1.3 Beispielsfall 3

Die tatsächliche Nachlassbeteiligung des S1 verringert sich auf 7.500,00 EUR, da ihm 1/4 von 30.000,00 EUR zusteht. Der Ergänzungsanspruch beläuft sich demnach auf 17.500,00 EUR, die auf 15.000,00 EUR zu kürzen wären.

Den Ergänzungsanspruch hat S2 bis zu einer Höhe von 7.500,00 EUR zu bedienen, da ihm dann selbst noch 25.000,00 EUR verbleiben; erhält er doch 10.000,00 EUR als Vermächtnis und 3/4 von dem verbleibenden Nachlass, zusammen also 32.500,00 EUR. Die beschenkte Lebensgefährtin müsste an S1 weitere 7.500,00 EUR zahlen (§ 2329 BGB).

4.3.1.4 Beispielsfall 4

Schließlich bleibt noch die letzte Abwandlung zu erörtern. Wie im vorstehenden Fall wäre S1 mit 7.500,00 EUR am Nachlass beteiligt (40.000,00 EUR ./. 10.000,00 EUR : 4). Wegen des geringeren fiktiven Nachlasses von 70.000,00 EUR reduziert sich der Ergänzungsanspruch des S1 auf (17.500,00 ./. 7.500,00 EUR =) 10.000,00 EUR, die auf 7.500,00 EUR zu kürzen sind.

Der (gekürzte) Gesamtpflichtteil des S1 in Höhe von 15.000,00 ist von S2 zu tragen, dem 25.000,00 EUR verblieben und damit 7.500,00 EUR mehr als sein eigener Gesamtpflichtteil.

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