Einfluss des Unionsrechts auf das Internationale Erbrecht

In zwei Urteilen vom 12.10.2023[1] hat sich der EuGH mit zwei zentralen Bereichen des internationalen Erbrechts befasst, die in jedem internationalen Erbfall eine Rolle spielen: dem anwendbaren Recht und der Auswirkung des Auslandsbezugs auf das Erbschaftsteuerrecht. Während das Internationale Privatrecht (scheinbar) unionsweit vereinheitlicht ist, wird das Internationale Erbschaftsteuerrecht von den nationalen Rechten, modifiziert durch eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), bestimmt, ist aber auch nicht frei von unionsrechtlichen Einflüssen. Zentrales Instrument des Internationalen Erbrechts ist die EuErbVO,[2] die neben dem anwendbaren Recht auch weitere Fragen von zentraler Bedeutung regelt. Im Steuerrecht leitet der EuGH den unionsrechtlichen Einfluss unmittelbar aus der im AEUV geregelten Kapitalverkehrsfreiheit ab. Die beiden vorgestellten Urteile nehmen die Behandlung von Sachverhalten mit Drittstaatenbezug in den Fokus.

Rechtswahl im Erbrecht (EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C-21/22)

Die in Art. 22 EuErbVO geregelte Rechtswahlfreiheit gilt auch für Drittstaatsangehörige. Sie kann aber gemäß Art. 75 EuErbVO durch internationale Übereinkommen ausgeschlossen sein, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der EuErbVO angehören. (nicht amtl. Leitsatz)

Eine in Polen lebende Ukrainerin mit Immobilienbesitz in Polen wollte einen polnischen Notarvertreter mit der Errichtung eines öffentlichen Testaments mit einer Klausel beauftragen, wonach für ihren Nachlass ukrainisches Recht gelten sollte. Der Notarvertreter lehnte das im Wesentlichen aus zwei Gründen ab: die Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO stehe nur Angehörigen von Mitgliedstaaten der Union offen und sie werde außerdem durch ein bilaterales Abkommen zwischen Polen und der Ukraine ausgeschlossen, das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen in unbewegliches Vermögen die Anwendung des Belegenheitsrechts vorsieht. Der EuGH stellt unter Berufung auf Wortlaut und Systematik der EuErbVO klar, dass auch Drittstaatsangehörige mit einem Wohnsitz in der EU das anwendbare Recht wählen können. Dieses Recht kann jedoch gem. Art. 75 i.V.m. Art. 22 EuErbVO durch ein bilaterales Abkommen ausgeschlossen sein.

 

Praxistipp:

Im Hinblick auf den Wortlaut von Art. 22 EuErbVO wenig überraschend, da einer "Person" die Rechtswahl gestattet wird, stellt der EuGH klar, dass auch in der Union lebende Drittstaatsangehörige das anwendbare Erbrecht – in den in der Vorschrift genannten Grenzen – wählen dürfen. Leichter übersieht man jedoch den Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor der EuErbVO. Art. 75 EuErbVO ist eine Durchbrechung der Rechtsvereinheitlichung:[3] Ein und derselbe Fall wird in den Mitgliedstaaten verschieden behandelt, je nachdem, ob sie durch vorrangige Übereinkommen gebunden sind oder nicht. Auch die Bundesrepublik ist durch vorrangige Übereinkommen gebunden,[4] die verschiedene in der EuErbVO geregelte Fragen vorrangig regeln. Hier ist Wachsamkeit geboten.

Bewertung von Immobilien in Drittstaaten (EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C-670/21)

§ 13c ErbStG ist mit dem freien Kapitalverkehr, Art. 63 bis 65 AEUV, unvereinbar, soweit er in Drittstaaten belegene Grundstücke pauschal von der Steuervergünstigung ausnimmt. (nicht amtl. Leitsatz)

Der Erbe, der seinen Steuerwohnsitz wie der Erblasser in Deutschland hatte, klagte vor dem Finanzgericht Köln gegen einen Erbschaftsteuerbescheid, in dem der Wert eines in Kanada belegenen, zum Privatvermögen des Erblassers gehörenden bebauten Grundstücks, das zu Wohnzwecken vermietet war, in Anwendung von § 13c ErbStG mit seinem vollen Wert angesetzt war. Auf Vorlage des FG stellt der EuGH fest, dass eine Steuervergünstigung, von der in Drittstaaten belegene Immobilien ausgenommen sind, gem. Art. 63 AEUV eine Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt. Diese Beschränkung ist weder nach Art. 64 AEUV zulässig noch nach Art. 65 AEUV gerechtfertigt.

 

Praxishinweis:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das Erbschaftsteuerrecht an der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit zu messen, soweit es nicht um rein innerstaatliche Sachverhalte geht. Eine Regelung wie § 13c Abs. 3 Nr. 2 ErbStG, die Vermögen in Drittstaaten steuerlich schlechter stellt als Inlandsvermögen, ist eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die freilich zulässig oder gerechtfertigt sein kann. Maßgeblich für die Ablehnung einer Rechtfertigung durch den EuGH waren die Umstände des Einzelfalls, genauer die Belegenheit der Immobilie in Kanada und die daraus folgende Anwendbarkeit des deutsch-kanadischen DBA. Die Anwendung von § 13c Abs. 3 Nr. 2 ErbStG auf Grundstücke in Drittstaaten ist also nicht notwendig mit dem Unionsrecht unvereinbar. Die Frage muss in jedem Einzelfall geprüft werden.

Autor: Dr. Alexander Mittmann, LL.M., D.E.A., Rechtsanwalt und Avocat à la Cour, Hamburg

ZErb 1/2024, S. 22

[2] Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen...

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