Aber auch da passierte nichts. Man wurde angehört, dass ja, hat die Bedenken geteilt, aber es gebe keinen Grund und im Übrigen keine Handhabe. Es bestehe eine Vollmacht. Für die Pflegerin! Ob der Vater dazu noch imstande war? Warum sollte es nicht so sein? Ein Gutachten zu seiner Geschäftsfähigkeit? Er habe es abgelehnt, bei ihm sei alles in Ordnung. Und außerdem habe er untersagt, dass das Gericht die Tochter informiere. Das gehe nur ihn etwas an und das Gericht habe dies zu beachten. Außerdem habe er einen Anwalt, der ihn vertrete. Also, womit solle das Gericht argumentieren? Die Polizei war vor Ort und habe keine Zweifel geäußert. Ja, der Vater saß verständnislos da, konnte kaum richtig antworten und war sehr durcheinander. Das sei normal, die meisten reagierten so, wenn die Polizei vor der Tür steht; erst recht die älteren Mitbürger. Aber er habe jede Hilfe abgewehrt, obwohl man nicht habe richtig verstehen können, wieso.

Auch der Notar der neuen Urkunde hat ordentlich geprüft. Das mache dieser pflichtbewusst, wenn ein neuer – zumal älterer – Mandant so eine Vollmacht erteilen will. Erst recht, wenn er dafür extra in eine Klinik musste. Die Lungenärztin habe ihn aber für geschäftsfähig gehalten, obwohl Friedhelm unter bewusstseinseinschränkenden Medikamenten stand. Deshalb konnte der Notar die Beurkundung nicht verweigern. Ob der Vater ansonsten gut versorgt und in ärztlicher Behandlung sei, könne das Gericht der Tochter nicht bekannt geben. Ebenso wenig, wo er derzeit wohne. Überhaupt habe man schon viel zu viel preisgegeben. Man dürfe das nicht, aber man verstehe die Tochter, die ja lange Zeit selbst bevollmächtigt gewesen sei. Nur wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür habe, dass die Pflegerin nicht im Interesse des Vaters handele oder vielleicht Belege für den gesundheitlichen – vor allem psychischen – Zustand des Vaters vorlege, könne das Gericht eingreifen. Sie müsse diese Anhaltspunkte beibringen und nachweisen, gegen welches konkrete Interesse des Vaters die Pflegerin handelt.

Wie soll dies der Tochter möglich sein? Die ärztlichen Berichte sind beim Vater, ein ganzer Aktenordner. Mit neurologischen Befunden. Der gibt sie aber nicht heraus. Auch die Pflegerin verweigert das; den Vater konnte die Tochter nicht sprechen. Und sein Interesse? Tja, sie hat die ehemalige Generalvollmacht. Da ist alles festgehalten. Aber das Gericht meint, dass er seine Wünsche geändert haben könnte. Das stimmt zwar, aber ist er dazu tatsächlich noch imstande? Weiß er wirklich noch, was er will?

Wenn die Tochter nichts beibringen kann, muss das Gericht die Befunde anfordern. Wenn es denn weiß, wo der Vater in Behandlung war. Dann beauftrage das Gericht einen Gutachter. Der wird hoffentlich von der Schweigepflicht entbunden. Wenn nicht, muss ein Richter entscheiden. Nach einer Anhörung des Vaters.

Diese findet auch statt. Aber erst nach über fünf Monaten. Der Vater sei erst verreist, zwischenzeitlich erkrankt und dann habe er bei einer Freundin gelebt; wollte sich den Schikanen des Gerichts und der Tochter nicht mehr aussetzen, wurde vorgetragen. Es sei sein Leben und davon sei nicht mehr viel übrig. Einer Ladung folgte der Vater dann doch. Die Pflegerin und der Anwalt waren dabei. Natürlich, der Vater wollte es so. Ja, er schien nicht mehr richtig zu verstehen, warum er überhaupt dem Ganzen ausgesetzt werde. Stand erkennbar unter dem Einfluss der Pflegerin, verstand nicht, was er da eigentlich soll. Zur Tochter habe er noch nie ein gutes Verhältnis gehabt. Sie trinke und denke ohnehin nur an sich und wolle sein Geld. Das sei schon immer so gewesen. Deshalb die Pflegerin. Aber dass er nun noch einen Anwalt brauche, sei zu viel. Warum er dann der Tochter eine Vollmacht erteilt habe, kann er nicht mehr sagen, er sei schließlich alt und vergesse auch mal etwas.

Nach weiteren drei Monaten liegt das Gutachten vor. Besser gesagt: zwei Gutachten. Das vom Gericht beauftragte und ein Privatgutachten, was zu einer anderen Auffassung kommt. Beide hatten die gleichen ärztlichen Befunde vorliegen, aber werteten die Ergebnisse eben verschieden. Deshalb war ein drittes Gutachten in Auftrag zu geben. Das brauchte Zeit. Selbst wenn der Vater alt ist. Es finden sich einfach keine Termine, oder angesetzte wurden von ihm kurzfristig abgesagt. Ein Rückfall, Vergesslichkeit, Dialyse – irgendwie hat es nicht geklappt. Bis dahin würden aber ein Kontrollbetreuer und ein Verfahrenspfleger bestellt. Also keine Sorge. Mit diesen Maßnahmen, so das Gericht der Tochter gegenüber, dürfte ein Missbrauch der Vollmacht nicht möglich sei.

Das dritte Gutachten wurde irgendwann gefertigt und der Gutachter ist eindeutig: Der Vater ist geschäftsunfähig. Im Sinne des Gesetzes. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung. Der Vater konnte sich kaum an vergangene Untersuchungen erinnern und Befunde waren spärlich. Etwas vom Diabetologen, vom Lungen- und vom Hausarzt. Neurologische Befunde nur im Zusammenhang mit Klinikaufenthalten. Und ja, es hatte bereits früher Anzeiche...

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