Der "Graubereich" bezeichnet den fließenden Übergang zwischen Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit, die rechtlich erst durch ein Gericht festgestellt werden muss.

Nach dem neuen Recht ist Friedhelms Wille, nicht seine Hilfebedürftigkeit, oberstes Gebot. Auch wenn Friedhelm in gewohnter Manier und herrischem Befehlston Anweisungen erteilt, die zwar keinen rechten Sinn ergeben und auf falschen Annahmen beruhen, muss sein Wille geschehen – unabhängig davon, wie nachteilig die Folgen vielleicht sind.[8] Wenn Friedhelm z.B. glaubt, das Haus der Pflegerin übertragen zu müssen, weil andernfalls die Pflege nicht gewährleistet wäre und er davon nicht abzubringen ist – wer könne sich dem entgegenstellen? Wenn die Tochter, so weit weg und mit dem eigenen Leben beschäftigt, nicht die gewünschte Zeit für ihn hat, sucht er eben andere Lösungen. Dafür hat er ja sein Vermögen! Und die Banken und der Staat wollen eh nur sein Geld und raten deshalb von kostspieligen Ausgaben ab. Aber Friedhelm wollte doch mit dem Bargeld eine Weltreise machen und schon immer diesen Porsche haben, selbst wenn er ihn weder fahren kann noch in ihn hineinkommt (also eher nicht mehr heraus). Und was erlaubt sich dieser Bankmitarbeiter? Es ist sein Geld. Es muss deshalb in Sicherheit gebracht werden. In Gold und in Verwahrung der Pflegerin oder investiert in gute Geschäfte (wie früher!) – vielleicht in hochwertige Teppiche, für die der Freund der Pflegerin noch Verwendung findet.

Die misstrauische Tochter ahnt Arges und verlangt Auskunft. Erst einmal von der Pflegerin, die natürlich klar und freimütig eigenes Erstaunen bekundet; gleichwohl aber nicht bereit ist, diese Zuwendungen abzulehnen. Schließlich sei es doch Friedhelms Wille.

Die Tochter kennt den Vater – sie weiß, dass Großzügigkeit nicht seine Natur ist, schon gar nicht Fremden gegenüber. Etwas altmodisch, aber er musste sich auch mit Nichts in der Tasche hocharbeiten. Das Leben schenkt niemanden etwas. Und fremd ist die Pflegerin. Gerade mal drei Monate kennt der Vater sie, weil inzwischen der Alltag zu beschwerlich wurde. Aber wer weiß? Musste sie deshalb gleich bei ihm einziehen? Braucht er wirklich rund um die Uhr Hilfe? Er, der früher so sehr auf seiner Eigenständigkeit bestand und selbst familiären Besuch oft als Eingriff in seine Intimsphäre empfand? Die Tochter will ihn fragen. Und mit dem Freund des Vaters reden, vielleicht weiß der Rat? Aber wie nur soll sie es beim Vater ansprechen, ohne ihn zu verletzen? Ihm sagen, dass es eben nicht mehr so geht wie früher? Dass sein Urteil getrübt und Kritik ungerechtfertigt abgewehrt wurde, was nun wirklich nicht ihm entsprach. Er sogar stolz darauf war, immer offen für Neues und insbesondere andere Ansichten zu sein. Sich unbedingt ein eigenes Urteil bildete; nach ordentlicher Sachabwägung und Einholung verschiedener Meinungen. Genau darauf sich selbst immer viel zugutehielt. Wie soll sie ihm nur verständlich machen, dass der Widerstand im Oberstübchen geringer geworden ist? Außerdem: Hat sie dazu überhaupt ein Recht? Es ist ja tatsächlich sein Geld. Aber nach drei Monaten alles über den Haufen werfen, das geliebte Haus an eine Fremde geben? Eine Weltreise, obwohl er immer nur nach Sylt fuhr? Ein Porsche, der ihn nicht mal in den besten Sturm- und Drangzeiten reizte? Gold? Teppiche? Eher dann doch Bücher und Kunst.

Irgendetwas stimmt nicht. Sie braucht Hilfe, bevor sie dem Vater vielleicht die letzten Jahre noch verhagelt. Vielleicht sollte sein Hausarzt den Vater untersuchen. Auf dessen Rat hörte der Vater immer und keiner kennt ihn so gut – jedenfalls was die medizinische Seite angeht und nur die stünde überhaupt zu Debatte. Denn ist alles in Ordnung, der Vater gesund, dann folgt er eben nur seinen letzten Launen. Wer will ihm das versagen? Dann hieße es gleich, man sei nur hinter seinem Geld her und würde ihm nichts mehr gönnen. Dabei möchte sie nur, dass es ihm gut geht.

Der gute Freund hatte zu berichten, Friedhelm würde sich beklagen, dass seine Tochter, die doch das ganze Erbe erhält, sich nicht mehr melden würde, nicht mal telefonisch. Dabei sei sie früher fast wöchentlich gekommen. Und jetzt, wo er sie brauche, habe sie keine Zeit. Er habe sogar von Undank gesprochen und dass er sich nicht mehr auf sie verlassen könne. Zudem sei die teure Rolex weg, auf die der Enkel immer scharf war und die er auch erhalten sollte. Nach seinem Tode. Konnte der Junge nicht so lange warten? Ja, er habe gesucht; überall. Und ja, natürlich verlegt er mal was. Kann ja passieren. Er sei eben nicht mehr der Jüngste. Die Pflegerin? Nein, warum? Sie wird gut bezahlt, ist immer freundlich und hilfsbereit. Will nie etwas außer der Reihe haben. Im Gegenteil. Sie macht viel mehr. Sie geht mit ihm raus in den Zoo, bringt ihm Süßigkeiten und Zigaretten, was die Tochter nie gemacht habe. Wegen des Diabetes und des Asthmas. Und ja, sie ist sogar zu ihm gezogen, damit er bis zum Ende zu Hause bleiben könne und nicht in ein Heim müsse. Ist das nicht wunderbar?

Die...

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