Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Reformgesetzes bestand die Möglichkeit, das neue Erbschaftsteuerrecht, in Kraft getreten zum 1.1.2009, auf Todesfälle zwischen dem 1.1.2007 und 31.12.2008 anzuwenden. Hierzu bedurfte es eines Antrags, der bis zum 30.6.2009 zu stellen war. Es handelte sich hierbei um eine Ausschlussfrist, die vom Gesetzgeber auch bei der Reform durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und den entsprechenden Änderungen nicht korrigiert bzw. verlängert wurde. Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung wurde aufgrund einer Eingabe beim Bayerischen Staatsministerium der Finanzen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich des Antrags nach Art. 3 Abs. 1 Erbschaftsteuerreformgesetz gewährt.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Brüder C und G wurden Erben ihres am 23.7.2008 in Würzburg verstorbenen Vaters. Mit Schreiben vom 14.1.2009 erhielten sie die Aufforderung zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung unter Zusendung entsprechender Vordrucke. Bei den Vordrucken handelte es sich um die Formularsätze aus dem Jahr 2001 (Stand Dezember 2000). Diesen Formularsätzen fehlte der Hinweis bezüglich der Möglichkeit der rückwirkenden Anwendung neuen Rechts für Todesfälle 07/08.

Mangels eines solchen Hinweises konnten die Steuerpflichtigen den Antrag auf Anwendung neuen Rechts auf den Tod ihres am 23.7.2008 verstorbenen Vaters nicht rechtzeitig stellen. Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Reformgesetzes wäre der Antrag bis 30.6.2009 zu stellen gewesen.

Aufgrund der abgegebenen Erklärung ergingen am 5.8.2009 die jeweiligen Erbschaftsteuerbescheide. Bei Anwendung neuen Rechts auf den Erbfall wäre die Erbschaftsteuer durch die Tarifglättung der Tabelle entsprechend niedriger gewesen. Gegen die Erbschaftsteuerbescheide wurde am 19.8.2009 Einspruch erhoben. Im Wesentlichen wurde die analoge Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dies wurde mit Schreiben vom 9.9.2009 seitens des Finanzamtes Lohr abgelehnt, da es sich hier um eine rein materiellrechtliche Frist handle und somit nicht um eine verfahrensbezogene, wiedereinsetzungsfähige Frist. Versuche, auf politischer Ebene oder über die zuständige OFD eine Lösung zu erreichen, scheiterten. Mit Einspruchsentscheidungen vom 1.4.2010 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wurde am 14.4.2010 Klage erhoben. Es wurde Frist zur Klagebegründung bis 1.6.2010 gewährt. Zwischenzeitlich wurde der Fall dem Bayerischen Staatsministerium für Finanzen unter Darlegung des Sachverhalts, der Einspruchsentscheidung und der prozessualen Situation, vorgelegt.

Die Steuerpflichtigen waren zuvor steuerlich nicht beraten und hatten deshalb keine Kenntnis von dem hier bestehenden Wahlrecht. Ein entsprechender Hinweis wurde seitens der Finanzverwaltung nicht erteilt. Die widersprüchlichen Aussagen in der Tagespresse – wie von der Verwaltung vorgetragen – konnten wohl kaum Rechtsgrundlage für den zu stellenden Antrag gewesen sein.

Aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Finanzministeriums vom 1.7.2010 (Az.: 34-S 3700-E-23 211/10) wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Dem Finanzamt Lohr am Main wurde entsprechende Anweisung gegeben, die bisherigen Bescheide aufzuheben und entsprechend zu ändern. In der Kostenentscheidung des Finanzgerichts Nürnberg wurde antragsgemäß die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig und somit erstattungsfähig erklärt.

 

Auf einen Blick

Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Reformgesetzes bestand die Möglichkeit, das neue Erbschaftsteuerrecht, in Kraft getreten zum 1.1.2009, auf Todesfälle zwischen dem 1.1.2007 und 31.12.2008 anzuwenden. Hierzu bedurfte es eines Antrags, der bis zum 30.6.2009 zu stellen war. Es handelte sich hierbei um eine Ausschlussfrist, die sehr kurz bemessen war. Bei Verstreichen dieser Frist wird von der Finanzverwaltung üblicherweise keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, da es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist handelt.

In gleich gelagerten Fällen kann es ratsam sein, den Weg über das zuständige Ministerium zu beschreiten, denn wegen des in Teilen lückenhaften und komplizierten neuen Regelwerks herrschte vielfach Unklarheit darüber, welche Rechtslage im Einzelfall überhaupt vorteilhaft gewesen wäre. Für Rechtssicherheit in den vielen streitigen Fragen sollten entsprechende Erlasse der Finanzverwaltung sorgen. Deren Veröffentlichung, also die Grundlagen für eine Berechnung im Rahmen einer Günstigerprüfung, zog sich jedoch längere Zeit hin; die Anwendungserlasse zu dem neuen Gesetz wurden mit großer Verspätung Anfang Juli 2009, also nach Fristablauf, 30.6.2009, veröffentlicht.

Ein steuerrechtlicher Laie konnte die Spezialkenntnisse, um die es hier geht, nicht haben. Auch wenn es sich, wie zu Recht vom Finanzamt Lohr am Main vorgetragen, bei der vom Gesetzgeber verfügten Frist um eine rein materiellrechtliche Frist handelte, war die hier gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf das Zustandekommen des Gesetzes, die ...

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