Die Kündigung wegen Krankheit stellt den in der Praxis häufigsten Fall der personenbedingten Kündigung dar (allgemein zur personenbedingten Kündigung: Sartorius/Rambach ZAP F. 17, S. 999, zur krankheitsbedingten Kündigung ebenda, S. 1005 ff.). Ein Anwendungsfall der krankheitsbedingten Kündigung ist die wegen langanhaltender Krankheit bzw. wegen dauernder krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit. Die Rechtsprechung hat bei der rechtlichen Beurteilung der Wirksamkeit krankheitsbedingter Kündigungen – gleiches gilt für andere Fälle der personenbedingten Kündigung – ein dreistufiges Prüfungsschema entwickelt:

  1. Zuerst bedarf es einer negativen Prognose bzgl. des voraussichtlichen Gesundheitszustands oder allgemein bzgl. der Fähigkeit und Eignung der Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung.
  2. Die bisherigen und zu erwartenden nachteiligen Auswirkungen der Störung müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.
  3. In der dritten Stufe ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (s. etwa BAG, Urt. v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665, 667).

Eine langandauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Trägt der Arbeitgeber die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vor, genügt er zunächst seiner Darlegungslast für eine negative Prognose.

Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die völlige Ungewissheit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, wenn – ausgehend vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann.

Der Schwerpunkt der hier zu referierenden Entscheidung des BAG (v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14, NZA 2015, 1249) lag im Bereich der oben erwähnten zweiten und dritten Prüfungsstufe: Der Arbeitgeber betrieb ein Omnibusunternehmen. Der Kläger war bei ihm als Busfahrer tätig und seit dem 28.11.2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 26.6.2012 wurde ihm vom Rentenversicherungsträger rückwirkend ab dem 1.6.2011 zeitlich begrenzt bis zum 30.6.2014 (s. insoweit § 102 Abs. 2 S. 1 SGB VI) Rente bewilligt. Er informierte seinen Arbeitgeber über die Rentenbewilligung, lehnte es aber ab, dessen Frage nach der Art seiner Erkrankung zu beantworten. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.7.2012 zum 30.9.2012. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Das LAG hatte eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen angenommen, weil die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss – also für mindestens weitere 24 Monate nicht zu erwarten – gewesen sei. Hierbei hat es darauf abgestellt, unter Berücksichtigung des Rentenbescheids sei eine positive Entwicklung für mehr als 23 Monate auszuschließen und darüber hinaus ungewiss gewesen. Das BAG folgt dem nicht. Die bloße Ungewissheit der Wiedergenesung bedeute nicht zugleich, dass mit einer Gesundung nach medizinischen Erkenntnissen nicht gerechnet werden könne. Dies gelte auch schon für den 24. Monat nach Kündigungszugang. Im Übrigen ergebe sich aus einer Rentenbewilligung wegen Erwerbsminderung nicht ohne Weiteres, dass der Leistungsempfänger arbeitsunfähig sei. Der Rentenbezug begründe keine – widerlegbare – Vermutung oder Indizwirkung für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Bewilligung. Die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und die sozialrechtlichen Voraussetzungen für die Annahme von Erwerbsminderung i.S.v. § 43 SGB VI seien nicht identisch. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setze nicht zwingend voraus, dass Arbeitnehmer ihre bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Die volle Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI stelle darauf ab, ob Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz können jedoch von denen des allgemeinen Arbeitsmarktes für die Arbeitnehmer günstig abweichen. Entsprechende Feststellungen hat das LAG nicht getroffen.

Im Übrigen habe das LAG zu Unrecht angenommen, ein milderes Mittel als die Beendigungskündigung habe dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung gestanden, um den betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Der Arbeitgeber ist seiner Pflicht zur Durchführung des betri...

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