Auch Querulanten können sich auf das Rechtsstaatsprinzip berufen und rechtliches Gehör beanspruchen. Dies gilt selbst dann, wenn sie die Gerichte mit Tausenden von Klagen nerven. Das ist die Quintessenz aus einer jüngst ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts (Beschl. v. 12.2.2015 – B 10 ÜG 8/14 B).

Der Fall betrifft einen Strafgefangenen in Baden-Württemberg, der die Sozialgerichte seit Jahren mit zahllosen Verfahren beschäftigt. So führte er allein von 2005 bis 2012 ca. 660 Verfahren beim SG Karlsruhe und ca. 1240 Verfahren beim LSG Baden-Württemberg, die vermeintliche Ansprüche gegen Sozialleistungsträger zum Gegenstand hatten. Selbst beim BSG waren von 2006 bis 2012 260 Verfahren anhängig.

Weil die Gerichte irgendwann nicht mehr reagierten, forderte der Sträfling in 138 Fällen Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer nach dem ÜGG. Dieses Begehren wies das LSG Baden-Württemberg ohne ordentliches Verfahren ab. Offenbar hatten die Landessozialrichter keine Lust, sich mit den Hunderten von Klageforderungen im einzelnen auseinander zu setzen. Per Beschluss, und ohne den Kläger zuvor anzuhören, wiesen sie die Anträge pauschal als "offensichtlich haltlos" ab und trugen sie ohne weitere Bearbeitung aus dem Prozessregister aus. Die Entschädigungsklagen ließen, so ihre Begründung, auch nicht ansatzweise ein berechtigtes Interesse erkennen, weshalb sie als letztlich unbeachtliche Begehren auf sonstige Weise auszutragen seien und eine weitere Bearbeitung nicht zu erfolgen habe. Revision wurde nicht zugelassen.

Damit jedoch haben sie den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, befand jetzt das BSG. Obwohl der Mann nach einem medizinisch-psychiatrischen Gutachten eine "verfestigte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen" aufweise, habe der Gutachter keine schwere psychische Erkrankung feststellen können. Der Häftling wisse durchaus, was er wolle.

Keine gute Nachricht also für das LSG. Dieses wird, so ausdrücklich der BSG-Beschluss, "nach Zurückverweisung der Sache die einzelnen Klagen gemäß der Prozessordnung zu prüfen haben". Allerdings gaben die Kasseler Richter ihren Kollegen in Baden-Württemberg auch einen Fingerzeig, wie sie sich der Fälle eventuell elegant entledigen können: Das Gericht sei berechtigt, auch bei sozialgerichtlichen Klagen auf Entschädigung nach dem ÜGG die Förderung des Verfahrens davon abhängig zu machen, dass ein Gerichtskostenvorschuss gezahlt werde. Zwar sei – anders als bei den ordentlichen Gerichten – nicht ausdrücklich geregelt, wie ein Sozialgericht vorzugehen habe, wenn der Kläger den Vorschuss nicht zahle; jedoch habe ein anderes LSG erst kürzlich entschieden, dass eine solche Klage als zurückgenommen gelte, wenn der Kläger nach Setzen einer Frist von drei Monaten keinen Vorschuss geleistet habe. Das wiederum dürfte keine gute Nachricht für Querulanten sein, die eventuell daran denken, auf dem Entschädigungsanspruch nach dem ÜGG ein "Geschäftsmodell" aufzubauen.

[Quelle: BSG]

ZAP 9/2015, S. 450 – 456

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