Die besondere Aufmerksamkeit des Verteidigers ist gefordert, wenn der Angeklagte zwar mit der Nichtanordnung der Unterbringung zufrieden ist, nicht aber mit der verhängten Strafe. Agiert der Verteidiger hier nachlässig, "verhilft" er seinem Mandanten im schlechtesten Fall zu einem insgesamt längeren Freiheitsentzug als im erstinstanzlichen Urteil vorgesehen. Kommt nämlich das Rechtsmittelgericht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen, kann es die Unterbringung selbst dann "nachholen", wenn nur der Angeklagte gegen das erstinstanzliche Urteil ein Rechtsmittel eingelegt hat (BGH, Beschl. v. 31.7.2019 – 5 StR 286/19).

 

Hinweis:

Dies ergibt sich für das Berufungsverfahren aus § 331 Abs. 2 StPO und für die Revision aus § 358 Abs. 2 S. 3 StPO. Die beiden Vorschriften beinhalten hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. in einer Entziehungsanstalt jeweils eine Ausnahme vom Schlechterstellungsverbot.

Um solche Nachteile zu vermeiden, bietet es sich an, das Rechtsmittel dahingehend zu beschränken, dass die Nichtanordnung der Unterbringung gem. § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff ausgenommen wird. Eine solche Beschränkung lässt der BGH in ständiger Rechtsprechung grds. zu (so schon BGHSt 38, 362). Es gibt jedoch auch immer wieder Konstellationen, in denen die Rechtsmittelbeschränkung ausnahmsweise unwirksam ist, namentlich dann, wenn sich den Urteilsgründen oder der Höhe der verhängten Strafe entnehmen lässt, dass die Strafe vom Unterbleiben der Maßregel beeinflusst worden sein kann (OLG Köln, Beschl. v. 3.7.2018 – 1 RVs 139/18).

Ob ein solcher Einfluss vorliegt oder nicht, ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Unterbringung kann weder allgemein bejaht noch verneint werden (S/S/Kinzig, § 64 Rn 129). Unzulässig kann die Beschränkung etwa sein, wenn die Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung wegen alkoholbedingter Enthemmung gem. § 21 StGB und die Versagung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf denselben Gesichtspunkten beruhen und eine getrennte Beurteilung nicht möglich ist oder es im Einzelfall sowohl für § 64 StGB als auch für § 21 StGB darauf ankommt, aus welchem Grund der Angeklagte Drogen zu sich nimmt (hierzu BGH, Beschl. v. 16.2.2012 – 2 StR 29/12). Auch kann es einer Herausnahme der Nichtanordnung der Maßregel entgegenstehen, wenn der Angeklagte den Schuldspruch zu einem der Anlassdelikte (Symptomtat) angreift. Die Feststellung einer Symptomtat geht der Anordnung der Maßregel zwingend voraus (S/S/Kinzig, a.a.O.).

Zudem kann die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der anzustellenden Sozialprognose eines unter Suchtdruck handelnden Angeklagten auf denselben Gesichtspunkten beruhen wie die Täterprognose bei der Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB. Eine rechtlich und tatsächlich selbstständige Beurteilung der Entscheidung über die Unterbringung ist nach der Rechtsprechung deshalb losgelöst von der Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung nicht möglich (OLG München NStZ-RR 2009, 10).

 

Hinweis:

Insbesondere in Berufungsverfahren wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass eine vom Gericht angeregte Rücknahme nicht erfolgt, dann eben eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sei. Hinweisen der Verteidigung auf die Beschränkung des Rechtsmittels werden dann gerne Fundstellen aus der Rechtsprechung insb. der Oberlandesgerichte entgegengehalten, aus denen sich die Unwirksamkeit der Beschränkung ergeben soll.

Derartigen Ausführungen und Fundstellenparaden sollte seitens der Verteidigung mit einer gewissen Vorsicht begegnet werden. Zwar wird ein solcher Hinweis im Normalfall pflichtgemäß erteilt werden, um den Angeklagten nicht "ins offene Messer" laufen zu lassen, und stellt sich heraus, dass die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung tatsächlich zweifelhaft sein könnte, sollte, um einen weiterreichenden Schaden für den Mandanten zu vermeiden, tatsächlich eine Rechtsmittelrücknahme erwogen werden.

Hin und wieder wird aber auch geflissentlich außer Acht gelassen, dass eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregel nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht besteht (BGH, Beschl. v. 2.2.2017 – 4 StR 433/16). Hier werden solche Hinweise dann als – unzulässiges – Druckmittel missbraucht, um die Rücknahme der Berufung zu erzwingen. In diesem Fall muss ein verständiger Angeklagter befürchten, dass dem Gericht nicht an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Berufungsverfahrens gelegen ist, sondern daran, sich des Verfahrens mit möglichst geringem Aufwand zu entledigen. Es kann daher die Besorgnis der Befangenheit entstehen.

Autor: RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

ZAP F. 22, S. 423–434

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