Ich kenne den Dauerzankapfel Ärztebewertungsportale aus eigener anwaltlicher Erfahrung. Auf den Portalen – das bekannteste unter ihnen "jameda" – benoten Patienten i.d.R. anonym Ärzte und Zahnärzte sowie ihre Praxen in allen denkbaren Kategorien. Jenseits des Äußerungsrechts sind dabei zwei Fragen entscheidend: (1.) Kann ein Bewerteter die Löschung seiner eigenen Daten von einer Plattform und (2.) die Herausgabe der persönlichen Daten der anonymen Nutzer von dem Betreiber verlangen? Die Antwort des BGH: Nein!

Um mit der einfacheren, zweiten Frage zu beginnen: Der Argumentation des BGH bzgl. der Ablehnung eines Auskunftsanspruchs gegen den Provider (BGH, Urt. v. 1.7.2014 – VI ZR 345/13) vermag ich zu folgen. Das Telemediengesetz (TMG) muss zur Weitergabe von Daten an Dritte ausdrücklich ermächtigen. Den Bewertungsportalen ist die Weitergabe der Daten seiner Nutzer an die Bewerteten aber nicht ausdrücklich erlaubt, eine analoge Anwendung (z.B. von §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 5 S. 4 TMG) kommt wegen des Gesetzesvorbehalts nicht in Betracht.

Problematischer erscheint die erste Frage: Auf die Löschung seiner eigenen Daten gem. §§ 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 1; 29 Abs. 1 Nr. 1 BDSG hat der Bewertete keinen Anspruch. Die Erwägungen des BGH in seinem maßgeblichen Grundsatzurteil vom 23.9.2014 (Az. VI ZR 358/13) liegen m.E. jedoch neben der Sache. Die vom BGH vorgenommene erforderliche Abwägung der betroffenen Grundrechte des Arztes einerseits (informationelle Selbstbestimmung und Berufsfreiheit) sowie der Nutzer und des Portals (Meinungs- und Kommunikations- sowie Berufsfreiheit) andererseits geht zulasten des Arztes aus. Der BGH konstatiert einleitend eine "nicht nur unerhebliche" Missbrauchsanfälligkeit. Das ist ein prototypischer juristischer Euphemismus, der den Ton der Entscheidung vorgibt.

Wenn der BGH zuerst ausführt, in Bezug auf seine Berufsausübung müsse sich jeder anders als in der Intimsphäre der Kritik einer breiten Öffentlichkeit stellen, vergisst er, dass ärztliche Tätigkeit – wie Gerichte sonst unermüdlich betonen – von persönlichem Vertrauen und persönlicher Leistungserbringung geprägt ist. Damit ist der Freiberufler Arzt Dr. X von der Privatperson X nicht in gleichem Maße sinnvoll abzugrenzen wie der Inhaber eines gewerblichen Unternehmens von dessen Produkten.

Im Übrigen ist der BGH der Auffassung, es bestehe ein "erhebliches" Interesse an öffentlichen Bewertungen ärztlicher Leistungen. Bewertungsportale stellten (laienhafte) "Leistungstransparenz" im Gesundheitswesen her. Ich persönlich halte die Parkmöglichkeiten vor der Praxis meines Kardiologen oder die Qualität des Wartezimmerentertainments beim Hauszahnarzt (ja, das sind zu benotende Kategorien bei jameda) für wenig erheblich.

Intellektuell schwer verdaulich sind vor allem aber die Erwägungen zum "Recht auf Anonymität der Bewertung". Der BGH hält insoweit an seiner Meinung, die anonyme Nutzung sei dem Internet immanent, fest (so schon in seiner "Spick-mich"-Entscheidung v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08). Das halte ich (relativ eifriger Nutzer sozialer Medien) – pardon – schlichtweg für Unfug. Zwar muss gem. § 13 Abs. 6 S. 1 TMG die anonyme Nutzung von Telemedien ermöglicht werden. Telos der Norm ist aber, die Speicherung missbrauchsanfälliger Daten bei dem Diensteanbieter zu verhindern. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Provider meine Daten an die werbetreibende Wirtschaft verkaufen, nicht anonyme Pöbelei gegen meinen Hausarzt ermöglichen.

Ich weiß, dass die Möglichkeiten anonymer Nutzung im Internet größer sind als in anderen Medien und deshalb online manches gepostet wird, was in einer realen Kommunikationssituation nicht einmal zu denken gewagt würde.

Das wohnt dem Internet aber keineswegs per se inne, um beim Wortsinn der Immanenz zu bleiben. Jeder kann im Internet mit seinem Klarnamen kommunizieren. Und selbst wenn das anders wäre, ist das kein in der hier fraglichen Abwägung gegen den Bewerteten und seine Interessen streitendes Argument.

Der BGH griff hier in seiner Spick-mich-Entscheidung auf einen merkwürdigen Gemeinplatz zurück: Die Zuordnung jeder öffentlich geäußerten Meinung zu einem Individuum könne "vorbeugende Selbstzensur" zur Folge haben, weil man "aus Angst vor Repressalien" von der Meinungsäußerung absehen könnte. Dem entgegenzuwirken, sei Sinn der Meinungsfreiheit.

Da staunt nun der Experte und der Laie wundert sich. Das Argument, anonyme öffentliche Äußerungen seien vom Schutzbereich des Art. 5 GG umfasst, ist valide, gehört aber zur Schutzbereichseröffnung, nicht zur Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen. Ich halte es in diesem Kontext geradezu für ein Strohmannargument.

Niemand (auch ich nicht) will oder kann anonyme Äußerungen per se dem Schutz des Art. 5 GG entziehen. Das steht auch nicht in Rede. Es geht vielmehr darum, ob der Patient in Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arztes gleichsam einen grundrechtlich verbrieften Anspruch auf asymmetrische Kommunikation hat.

Der BGH bejaht das; die Möglichke...

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