Beim qualifizierten Rotlichtverstoß tritt in der Praxis häufig ein weiteres Problem auf. Das ist die Frage, ob das nach der BKatV, in diesem Fall nach Nr. 132.3 BKatV, an sich verwirkte (Regel-)Fahrverbot tatsächlich zu verhängen ist oder ob Besonderheiten vorliegen, die – bereits – den Tatbestand ausschließen und damit die Verhängung eines Fahrverbots schon von daher nicht in Betracht kommt. Bei dieser Problematik handelt es sich um ein spezielles Problem des Rotlichtverstoßes; sie ist im Übrigen unabhängig von den allgemeinen Gründen, die ggf. ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots begründen können (vgl. dazu Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1341 ff.).

Dieses Problem tritt außerdem auch nur bei Erfüllung der Katalogtat der Nr. 132.3 BKatV auf, da die anderen qualifizierten Rotlichtverstöße vom Eintritt einer konkreten Gefährdung oder sogar Sachbeschädigung abhängig sind. Bei der Katalogtat der Nr. 132.3 BKatV wird hingegen aus der Dauer der Rotlichtzeit auf eine abstrakte Gefährlichkeit des Verkehrsverhaltens geschlossen, weshalb hier Fälle denkbar sind, in denen trotz einer Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde der Verstoß dennoch nicht "gefährlich" war.

Zu der ganzen Problematik gibt es umfangreiche und detaillierte Rechtsprechung der OLG, die wegen der Einzelheiten teilweise zerstritten sind. Die Problematik lässt sich hier nicht in allen Verästelungen darstellen (wegen der Einzelheiten s. Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1696 ff.). Hier daher nur das Wichtigste: Ein Absehen von einem an sich verwirkten Fahrverbot kann in diesen Fällen gerechtfertigt sein, wenn entweder der Erfolgsunwert des Verstoßes oder dessen Handlungsunwert gemindert ist (s.a. Deutscher NZV 1997, 18, 24). Hinsichtlich des Erfolgsunwerts besteht in der Rechtsprechung Streit, ob dieser bereits dann zu verneinen ist, wenn es nicht zu einer konkreten Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers gekommen ist (Nachweise bei Deutscher NZV 1997, 23). Dazu dürfte jetzt wohl überwiegend in der OLG-Rechtsprechung vertreten werden, dass es darauf nicht ankommen könne (OLG Hamm VRS 96, 64; 98, 392; NZV 1995, 82; 1996, 327; Deutscher NZV 1997, 18, 25), da Nr. 132.3 BKatV nicht auf die konkrete, sondern "nur" auf die abstrakte Gefährdung eines anderen abstelle (ähnlich OLG Frankfurt VA 2002, 62; OLG Dresden DAR 2002, 522). Dem ist m.E. zuzustimmen. Diese Auffassung entspricht auch der amtlichen Begründung des Bundesrates zur Einführung dieser Katalogtat, in der es ausdrücklich heißt, eine abstrakte Gefahr sei in diesem Fall zu unterstellen (VkBl 1991, 704). Allerdings kann das Fehlen einer konkreten Gefahr ein Indiz für eine momentane Unaufmerksamkeit des Kraftfahrers sein und damit für einen verminderten Handlungsunwert sprechen (so auch Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1696 ff.; Deutscher NZV 1997, 18, 24), weshalb dann ggf. aus diesem Grund ein Fahrverbot nicht verhängt werden kann.

Auch bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß darf im Übrigen ein Fahrverbot nicht verhängt werden, wenn der Verstoß auf einem sog. Augenblicksversagen beruht. Insoweit gilt die Rechtsprechung des BGH zum "Augenblicksversagen" (vgl. BGH NJW 1997, 3252), die einen Fall der Geschwindigkeitsüberschreitung betraf, entsprechend (OLG Braunschweig DAR 1999, 273; OLG Hamm NZV 1999, 176 = VRS 96, 64; OLG Rostock DAR 1999, 277). Beruht also der Rotlichtverstoß lediglich auf leichter Fahrlässigkeit des Betroffenen, scheidet ein Fahrverbot aus. Beim Rotlichtverstoß wird man das z.B. annehmen können, wenn der Betroffene das Rotlicht der LZA einfach übersehen hat. Etwas anderes gilt, wenn das Übersehen der LZA selbst grob pflichtwidrig geschehen ist. Das wird zumindest immer dann der Fall sein, wenn besondere Umstände besondere Aufmerksamkeit des Kfz-Führers erfordert haben, so z.B. bei Sonneneinstrahlung (s. dazu OLG Hamm NZV 1996, 327 = VRS 91, 397; AG Celle NZV 1998, 86) oder beim Einfahren in eine belebte innerstädtische Kreuzung (BayObLG DAR 2002, 521 = NZV 2002, 517).

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