Nach meiner Überzeugung gibt diese Entscheidung allerdings für die Fälle der Alternativhaftung in dieser Form nichts her. Der VI. Senat führt dort aus: "Kommen mehrere Personen als Schädiger in Betracht, so ist es allerdings in der Regel das Risiko des Klägers, ob er den richtigen oder den falschen verklagt, denn er verstößt gegen seine Pflicht zur Minderung des Schadens (§ 254 Abs. 2 BGB), wenn er dadurch, dass er einen falschen in Anspruch nimmt, höhere Kosten verursacht." (Tz. 29). Etwas anderes kann gelten – schränkt der VI. Senat ein – "wenn der Geschädigte keine Möglichkeit zur Aufklärung der Schadensursache hat, der Schädiger aber durch unrichtige Angaben über den Verletzungstatbestand dazu beiträgt, den Geschädigten zunächst auf eine falsche Fährte zu setzen."

So liegt es aber hier nicht. Der Geschädigte hatte durchaus die Möglichkeit, im Vorfeld die Verantwortlichkeit verbindlich abzuklären und erst dann gerichtliche Maßnahmen gegen den richtigen Schädiger einzuleiten. Eine bewusst unrichtige Angabe, die den Geschädigten auf die falsche Fährte gesetzt hätte, hat niemand gemacht und konnte in diesem frühen Stadium auch niemand machen. Zudem: Es geht um verschiedene mögliche Haftungsereignisse: Einbau eines Kühlers bzw. Motorreparatur und damit nicht um eine nur rechtlich begründete, sondern tatsächliche Alternativität, bei der die Zulässigkeit der Streitverkündung nach meiner Ansicht fraglich ist (vgl. dazu auch Schultes in: Münchener Kommentar, a.a.O., § 72 Rn. 12).

Die Kernaussage der BGH-Entscheidung zur analogen Anwendung der Streitverkündung bei Alternativhaftung besteht darin, dass die Bindungswirkung für das Zweitgericht nur insoweit eintritt, als das im selbständigen Beweisverfahren als Erstverfahren gewonnene Beweisergebnis im Verhältnis zum Antragsgegner von "rechtlicher Relevanz" ist (BGH, Urt. v. 18.12.2014 – VII ZR 102/14, juris Tz. 21). Es muss also um Feststellungen gehen, die auch für die Haftung des möglicherweise Alternativhaftenden von Bedeutung sind. Insoweit kann Bindungswirkung eintreten (vgl. Schäfer in der Anm. zur Entscheidung des BGH NJW 2015, 557, 561). Sie besteht im vorliegenden Fall darin, dass die vom Sachverständigen durchgeführte Begutachtung zugleich zu Erkenntnissen darüber führen kann, ob ein Dritter die Ursache des Mangels oder Schadens gesetzt hat. Keine rechtliche Relevanz besteht im Verhältnis zum Antragsgegner, soweit das Beweisergebnis – so der BGH in der zitierten Entscheidung – nicht geeignet ist, zur Klärung der Frage beizutragen, ob der Antragsgegner den streitgegenständlichen Mangel oder Schaden verursacht hat. Nach diesen Kriterien die Bindungswirkung des § 68 ZPO festzustellen, ist nicht einfach. Der Streitverkündete steht in solchen Fällen der Alternativhaftung vor einem doppelten Problem: Sind die Voraussetzungen für eine Streitverkündung gegeben, weil der Geschädigte ex ante damit rechnen kann, im Verfahren gegen den Beklagten, dessen mangelnde Haftung sich hinterher herausstellt, Erkenntnisse zu gewinnen, die verbindlich für den Regressprozess von Bedeutung sein können? Bemisst sich die Relevanz solcher erwarteter Tatsachen aus der subjektiven ex ante Sicht des Streitverkündenden oder aus der nachträglich gewonnenen ex post Sicht des Richters? Täuscht sich derjenige, der die Streitverkündung beabsichtigt, möglicherweise über die rechtliche Relevanz und damit über die Zulässigkeit der Streitverkündung? Verfehlt er gegebenenfalls deren prozessuale und materiell-rechtliche Wirkungen?

Diese Ungewissheiten machen es gerade in solchen Fällen, in denen § 72 ZPO analog angewendet werden soll, nämlich in Fällen alternativer Haftung, außerordentlich schwierig, eine rechtssichere Prognose in Bezug auf die Zulässigkeit der Streitverkündung zu riskieren. Gibt man damit dem Streitverkünder nicht Steine statt Brot?

Das Problem bei der Streitverkündung in Fällen alternativer Haftungsereignisse besteht gerade darin, dass vollkommen verschiedene Schadensursachen mit verschiedenen möglichen Fehlerkonstellationen gesetzt werden können. Es handelt sich also nicht um den klassischen Fall der Streitverkündung (Beispiel: Haftung des vollmachtslosen Vertreters, der von einem angeblich Vertretenen – wie sich herausstellt – keine Vollmacht hat und deswegen im Regress nach § 179 BGB haftet). Im Fall der Streitverkündung bei Alternativhaftung geht es um vollkommen unterschiedliche potentielle Haftungsereignisse und nicht nur um die Verantwortlichkeit mehrerer potentieller Schädiger für einen bestimmten Fehler. Ganz unterschiedliche Schadensvorgänge und unterschiedliche Schädiger kommen in solchen Fällen in Betracht. Alternative Haftungsereignisse gibt es auch bei unerlaubten Handlungen. Wenn etwa mehrere Personen Steine auf ein Opfer werfen, ohne dass klar ist, wessen Stein die schwere Kopfverletzung verursacht hat, handelt es sich um einen Fall der alternativen Haftung (soweit nicht ausnahmsweise bei einem gemeinsamen gefährdenden Tun, beispielsweise § 830 Abs. 1 S. 2 BGB eingreift,...

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