Der Praktiker muss einmal mehr zur Kenntnis nehmen, dass die Beweiswürdigung stets so oder anders ausgehen kann. Ende Oktober 2019 ist das (strafrechtliche) Revisionsverfahren gegen die Vertreter der Deutschen Bank zu Ende gegangen (s. BGH, Urt. v. 31.10.2019 – 1 StR 219/17). Der 1. Strafsenat am BGH behandelte eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil des LG München I vom 25.4.2016 wegen Verdachts des versuchten Betrugs. Den Angeklagten Rolf Breuer, Josef Ackermann und Jürgen Fitschen war zum Vorwurf gemacht worden, falsche Aussagen im Schadenersatzprozess Kirch gegen Deutsche Bank gemacht zu haben, mithin sich des versuchten Prozessbetrugs schuldig gemacht zu haben. Die Revision der Staatsanwaltschaft war erfolglos.

Zur Erinnerung: Am 3.2.2002 hatte Breuer, damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank, in einem Fernsehinterview die Kreditwürdigkeit von Kirchs angeschlagener Firmengruppe angezweifelt, d.h. auf Kirch angesprochen, erwiderte Breuer: "Was alles man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Es können also nur Dritte sein, die sich ggf. für eine – wie Sie gesagt haben – Stützung interessieren." Kirch ging im April 2002 tatsächlich insolvent und machte Breuer dafür verantwortlich. Der XI. Senat des BGH hatte dies als Verletzung der aus dem Darlehensvertrag folgenden Interessenwahrungs-, Schutz- und Loyalitätspflicht angesehen und eine Haftung der Deutschen Bank dem Grunde nach bestätigt (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 Rn 4).

In dem an das OLG München zurückverwiesenen Verfahren über die Höhe des Schadenersatzes ging es um die Frage, ob es Ziel des Interviews gewesen sei, die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe nachhaltig zu beseitigen, um dann deren Zerschlagung im eigenen Gewinninteresse der Deutschen Bank betreiben zu können. Da Kirch, wie von Breuer angeblich gewollt und vorhergesehen, aufgrund von dessen Äußerungen im Interview vom 3.2.2002 keine Eigen- oder Fremdmittel mehr habe einwerben können, hätten die wesentlichen Gesellschaften seiner Firmengruppe alsbald Insolvenz anmelden müssen, sodass Breuer eine Situation schaffen wollte, deren Auswirkung für die Kirch-Gruppe und das noch anzubietende Rettungsmandat der Deutschen Bank (mit Krediten/Verkäufen) sich umgangssprachlich mit "Friss oder stirb" hätte beschreiben lassen.

Mit anderen Worten: Kirch sollte in eine Situation gebracht werden, in der ihm niemand mehr einen Kredit gewähren würde, bis auf die Deutsche Bank, die die Konditionen dann beliebig hätte festlegen können. Zum "Beweis" eines solchen Plans nahm das OLG München u.a. an, dass es ein Treffen vom 27.1.2002 mit dem damaligen Bundeskanzler gegeben hatte, bei dem es um die Frage ging, ob der mögliche Erwerb von Beteiligungen an der Kirch-Gruppe durch ausländische Investoren verhindert werden könnte, weiter gab es eine Vorstandssitzung vom 29.1.2002, bei der der Kirch-Gruppe ein "Beratungsmandat" angetragen werden sollte, sowie um ein persönliches Gespräch zwischen Kirch und Breuer vom 9.2.2002, bei dem Kirch die Vorteile einer Umstrukturierung mithilfe der Deutschen Bank versus einer Insolvenz nahegebracht werden sollten. Nach der Beweiswürdigung des OLG München sollte an Kirch herangetreten werden, um zu klären, ob er die Deutsche Bank mit einem "Beratungsmandat" bedenken würde (OLG München, Urt. v. 14.12.2012 – 5 U 2472/09 Rn 206). Breuer habe diesen Auftrag der Deutschen Bank durch das o.g. Interview fördern wollen (OLG München, a.a.O., Rn 132, 235, 240). Die Beklagten sind der Annahme eines derartigen Auftrags entgegengetreten. In dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 29.1.2002 heißt es: "DB has been asked, whether we could act as a mediator. ... The Board felt that as a first step Mr. K should be approached with the question whether he would award us an advisory mandate" (OLG München, a.a.O., Rn 130). Ein Zeuge meinte, dass dies so interpretiert werden müsse, dass in dem Fall, dass ein Dritter die Deutsche Bank frage, ob sie für den Dritten in Sachen Kirch tätig werden könne, zuerst an Kirch herangetreten werden sollte, um diesem die Chance zur Erteilung eines Gegenmandats zu geben. Dies solle sich aus der Bedeutung des "Perfekts" im Englischen ergeben, was von weiteren Beteiligten auf Seiten der Deutschen Bank bestätigt worden war, aber sprachlich abwegig ist (OLG München, a.a.O., Rn 173, 180 ff.). Deswegen meint das OLG: "Dass zwei Personen, die die englische Sprache ersichtlich gut beherrschen, übereinstimmend behaupten, dass eine bestimmte englische Textpassage etwas anderes bedeuten würde, als dies tatsächlich der Fall ist, ist nach Auffassung des Senats ein sicheres Indiz [Hervorh. d. Verf.] dafür, dass die entsprechende unwahre Darstellung zuvor abgesprochen wurde." (OLG München, a.a.O., Rn 186). Hätte es überdies keinen entsprechenden "Auftrag" der Deutschen Bank gegeben, wäre das Gespräch vom 9.2.2002 ein All...

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