Mit dem neuen § 406g Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dem Verletzten in bestimmten Fällen einen psychosozialen Prozessbegleiter durch das Gericht beizuordnen. In diesen Fällen ist die Tätigkeit des Begleiters für den Verletzten kostenfrei. Die Beiordnung, die für das gesamte Verfahren gilt, erfolgt stets nur auf Antrag. Zuständig ist der Vorsitzende; im Vorverfahren entscheidet das nach § 162 StPO zuständige Gericht (§ 406g Abs. 3 S. 4, 5 StPO). Eine Anhörung des Beschuldigten/Angeklagten ist nicht vorgeschrieben (a.A. Neuhaus StV 2017, 55), aber zweckmäßig.

 

Hinweis:

Eine Beschwerdebefugnis des Angeklagten gegen die Beiordnung besteht nicht (a.A. Neuhaus StV 2017, 55). Die Beiordnung des Prozessbegleiters, dem jede Einflussnahme auf den Verfahrensausgang gesetzlich ausdrücklich verboten ist, beschwert ihn nicht unmittelbar (vgl. auch OLG Hamm NJW 2006, 2057, für die Beiordnung eines Beistands gem. § 397a StPO).

Voraussetzung für die Beiordnung ist zunächst, dass das Verfahren eine der in § 397a StPO aufgeführten Taten betrifft und insoweit zumindest ein Anfangsverdacht besteht. Fehlt es bereits hieran, besteht für die Bestellung eines Begleiters kein Anlass. Zudem muss eine Zeugenvernehmung des Verletzten oder eine andere Ermittlungshandlung, die die Anwesenheit eines Begleiters erfordert, anberaumt oder zumindest zu erwarten sein. In einem weiteren Schritt hat das Gericht außerdem zu prüfen, ob der Prozessbegleiter, der beigeordnet werden soll, über die erforderliche Anerkennung nach den jeweiligen Landesgesetzen verfügt.

1. Zwingende Beiordnung

Gemäß § 406g Abs. 3 S. 1 StPO ist dem Verletzten unter den in § 397a Abs. 1 Nr. 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen auf Antrag ein psychosozialer Prozessbegleiter beizuordnen. Ein Entscheidungsspielraum des Gerichts besteht in diesem Fall nicht („ist [ ... ] beizuordnen“). Die Vorschrift hat in besonderer Weise das Wohl kindlicher und jugendlicher Opfer von Sexual- und Gewaltdelikten im Blick und schafft für minderjährige Opfer einer der Katalogtaten einen Rechtsanspruch auf kostenlose Beiordnung.

Ihr Anwendungsbereich ist aber nicht auf minderjährige Zeugen beschränkt. § 406g Abs. 3 S. 1 StPO verweist seinem Wortlaut nach vollumfänglich auf § 397a Abs. 1 Nr. 45 StPO, wonach die Bestellung eines Beistands nicht nur zulässig ist, wenn der Verletzte zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sondern alternativ auch dann, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. Zwar war eine Erstreckung des Beiordnungsanspruchs auf Erwachsene vom Gesetzgeber wohl nicht gewollt, nachdem die Begründung des Gesetzentwurfs ausführt, dass nur minderjährige Opfer einen Anspruch auf kostenlose Prozessbegleitung hätten (BT-Drucks 18/4621, S. 31); der – eindeutige – Gesetzeswortlaut gibt indes für eine Beschränkung auf Minderjährige nichts her. Es wird eben nicht nur teilweise, sondern umfassend auf § 397a Abs. 1 Nr. 45 StPO verwiesen.

Zudem ist eine solche Einschränkung auch sachlich nicht gerechtfertigt. Eine besondere Schutzbedürftigkeit setzt – gerade bei Opfern schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte – keine Minderjährigkeit voraus. Ein weitreichender Ausschluss volljähriger Verletzter liefe daher dem Zweck der Neuregelungen zuwider.

2. Ermessensentscheidung

Liegt ein Fall des § 397a Abs. 1 Nr. 1–3 StPO vor, so kann dem Verletzten bzw. Hinterbliebenen ebenfalls ein Prozessbegleiter beigeordnet werden, sofern er besonders schutzbedürftig ist, § 406g Abs. 3 S. 2 StPO. Hier ist die Beiordnung im Gegensatz zu Satz 1 nicht zwingend, sondern es besteht ein Ermessensspielraum.

Die besondere Schutzbedürftigkeit kann sich im konkreten Einzelfall aus der tatsächlichen Belastung bzw. Beeinträchtigung des Verletzten ergeben. Als besonders schutzbedürftig kommen Menschen mit einer Behinderung oder psychischen Beeinträchtigungen, Betroffene von Sexualstraftaten, Gewalttaten mit schweren physischen, psychischen oder finanziellen Folgen oder längerem Tatzeitraum sowie Betroffene von vorurteilsmotivierter Gewalt und sonstiger Hasskriminalität und Betroffene von Menschenhandel in Betracht (BT-Drucks 18/4621, 32).

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