I. Einleitung

Unterlassungsansprüche unterscheiden sich grundlegend von anderen prozessualen Begehren. Sie zielen nicht auf eine erfüllbare und ggf. im Wege der Vollstreckung abschließend zu erzwingende Leistung, sondern auf die Steuerung zukünftigen Verhaltens. Da zukünftige Verhaltensweisen nie vollständig vorhersehbar sind und daher auch nicht abschließend bestimmt werden können, ist dem Unterlassungsanspruch das Problem mangelnder Bestimmtheit in die Wiege gelegt. Dieses Problem begleitet den Unterlassungsanspruch auf seinem gesamten Weg der Rechtsdurchsetzung, von der Benennung des Gegenstands der Abmahnung (vgl. z.B. § 97a Abs. 2 Nr. 2 UrhG), über die Antragsfassung (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und die Individualisierung des Streitgegenstands im Prozess (vgl. §§ 322, 260 und 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) bis zur Zwangsvollstreckung (§ 890 ZPO; Art. 103 Abs. 1 GG). In diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, diese Gesichtspunkte auch aus praktischer Sicht zu erläutern.

II. Lückenhafte Behandlung des Unterlassungsanspruchs im Gesetz

Der Unterlassungsanspruch ist ein ungeliebtes Kind der Gesetzgebung im Privat- und im Zivilprozessrecht. In der ZPO findet er nur an einer Stelle, nämlich in der Vollstreckungsnorm des § 890 ZPO, gesonderte Berücksichtigung. Zu den großen Problemen, die die Antragsfassung und die Ermittlung des Streitgegenstands mit sich bringen, schweigt sich das Gesetz aus. Auch die zentrale Frage der Zwangsvollstreckung, nämlich inwieweit angepasste, möglicherweise „kerngleiche” Handlungen mit den Sanktionen des § 890 ZPO belegt werden können, lässt die ZPO unbeantwortet. Ebenso lückenhaft sind die Regelungen des materiellen Rechts. Beispielweise überlässt § 1004 BGB, die Zentralnorm des negatorischen Anspruchs, dem Rechtsanwender die Konkretisierung des unbestimmten Merkmals „Störer” zu einem tauglichen Zurechnungsinstrument und äußert sich nicht dazu, welche äußeren Umstände oder Handlungen des Schuldners die durch die Zuwiderhandlung bzw. die Anspruchsberühmung gesetzte Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr entfallen lassen. Zusätzliche Probleme ergeben sich für den Praktiker aus der neueren Rechtsprechung des BGH, die sich mit der nicht aus dem Gesetz zu beantwortenden Frage befasst hat, inwieweit sich aus einem Unterlassungsanspruch eine Verpflichtung des Schuldners zu einem aktiven Tun, z.B. zu einer Folgenbeseitigung durch Rückruf bereits ausgelieferter, rechtsverletzender Erzeugnisse, ergeben kann (BGH GRUR 2016, 406, Rn 28 f. – Piadina-Rückruf; GRUR 2016, 720, Rn 35 – Hot Sox; GRUR 2017, 208, Rn 24 – RESCUE-Tropfen; GRUR 2017, 823, Rn 28 f., GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung; GRUR 2020, 548 – Diätetische Tinnitusbehandlung).

 

Praxistipp:

„Versteckte” Beseitigungs- und Rückrufansprüche in Unterlassungserklärungen und Unterlassungstiteln haben sich in den vergangenen Jahren zu einer gefährlichen Haftungsfalle entwickelt. Prüfen Sie vor Abgabe einer Unterlassungserklärung unbedingt, ob diese einen Beseitigungsanspruch mit umfasst. Hierbei ist ein Blick in die genannten Entscheidungen ebenso unerlässlich wie eine Prüfung des gesetzlichen Umfangs. Der Wortlaut der Unterlassungserklärung bietet für die Prüfung hingegen keine ausreichende Grundlage, da die Rechtsprechung mittlerweile auch dann von Beseitigungs-/Rückrufpflichten und somit auch von einem Vertragsstrafeanspruch ausgeht, wenn der Schuldner dem Wortlaut nach nur zu einer Unterlassung verpflichtet ist; insoweit lohnt es sich, einen Blick in die Entscheidung BGH GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter zu werfen, die eine Vorstellung davon vermittelt, welche verborgenen Risiken hier schlummern.

Diese Unklarheiten und Lücken sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass der materielle Unterlassungsanspruch viel fester mit den prozessualen Mitteln seiner Durchsetzung verwachsen ist, als dies bei anderen prozessualen Begehren der Fall ist (vgl. nur § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB: „Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen”) und dass der Unterlassungsanspruch erst spät als materiell-rechtliches Phänomen begriffen wurde (MüKo/Raff § 1004, Rn 11). Diese Defizite machen sich bis heute bei der praktischen Rechtsanwendung bemerkbar.

III. Vertragliche und gesetzliche Unterlassungsansprüche

Unterlassungsansprüche können sich aus gesetzlichen Vorschriften oder aus Verträgen ergeben. Den Regelfall bilden hierbei die gesetzlichen Unterlassungsansprüche, die regelmäßig Rechte und Rechtsgüter des Anspruchsinhabers vorbeugend schützen, teilweise – z.B. im Bereich des Wettbewerbsrechts – aber auch im Allgemeininteresse gegen Verhaltensunrecht gerichtet werden können. Die gesetzlichen Unterlassungsansprüche sind kein Sanktionsinstrument, sondern beruhen allein darauf, dass ein bestimmtes pflichtwidriges Verhalten erstmals zu geschehen („Erstbegehungsgefahr”) oder sich zu wiederholen („Wiederholungsgefahr”) droht. Sie entfallen daher, wenn die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr durch äußere Umstände oder durch eine geeignete Handlung des Schuldners (z.B. durch Abgabe einer Unterwerfungserklärung) beseitigt wird. Schon aus dem Grunds...

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