Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es grundsätzlich auch dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert. Dies gilt auch für das Berufungsgericht, vgl. § 143 StPO (KG StV 2016, 485; wistra 2016, 423; LG Bonn StraFo 2016, 295). Die Rücknahme der Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger setzt jedenfalls voraus, dass der Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bestellung noch mandatiert ist sowie dauerhaft und nicht nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Angeklagten bereit und in der Lage ist (KG, Beschl. v. 30.6.2016 – 3 Ws 309, 316/16, StraFo 2016, 342). Hat ein bestellter Pflichtverteidiger Verfahrenskenntnisse über den bisherigen Verfahrensverlauf, welche seine weitere Mitwirkung am Verfahren geboten erscheinen lassen, ist seine Auswechselung trotz permanenter Terminkollisionen in großem Umfang über einen längeren Zeitraum möglichst zu vermeiden (LG Dessau-Roßlau StV 2016, 488 m. Anm. Rühlmann). Ergeben sich nachträglich Hinweise auf die Möglichkeit eines Interessenkonflikts, so kann dies ein wichtiger Grund dafür sein, eine bereits erfolgte Verteidigerbestellung aufzuheben. Jedoch ist die Situation im Abberufungsverfahren anders als bei der Bestellung zum Verteidiger. Die Grenze für die Begründetheit vorgebrachter Einwände gegen den vom Gericht beigeordneten Verteidiger wird in der Situation der Entpflichtung enger gezogen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.2.2016 – 2 StR 319/15, StV 2016, 473 m. Anm. Barton = NStZ 2017, 59; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 3695, 3697). Eine wesentliche Änderung der Umstände liegt nicht vor, wenn aufgrund des stationären Aufenthalts des Angeklagten in einer psychiatrischen Klinik erhebliche Zweifel an seiner Verteidigungsfähigkeit bestanden, der Sachverständige aber später in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis kommt, zum Tatzeitpunkt hätte keine Einschränkung der Schuldfähigkeit vorgelegen (LG Bonn StraFo 2016, 295).

Die Entpflichtung eines Verteidigers (§ 143 StPO) aufgrund einer nachhaltigen und endgültigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und seinem Mandanten ist geboten, wenn der Verteidiger in anderer Sache Ansprüche zur Insolvenztabelle derjenigen Gesellschaft angemeldet hat, deren früheren Geschäftsführer er nunmehr verteidigt und wenn der Insolvenzverwalter im weiteren Verfahren wegen verspäteter Insolvenzantragstellung Ansprüche gegen diesen Mandanten (den ehemaligen Geschäftsführer) geltend macht (OLG Naumburg StraFo 2015, 515; zur Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes und des Umstands der bisherigen mangelnden Verfahrensförderung bei der Entpflichtung des Pflichtverteidiger in einer Nichthaftsache LG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2015 – 31 Qs 19/15, StV 2016, 490). Nimmt ein Pflichtverteidiger trotz mehrfachen Hinweisen des Gerichts auf eine drohende Entpflichtung an einem erheblichen Teil der Hauptverhandlung nicht teil, kann seine Bestellung zurückgenommen werden, da zu befürchten ist, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verhandlungsablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (OLG Stuttgart StV 2016, 479 = NStZ 2016, 436). Die Untätigkeit des Pflichtverteidigers, insbesondere die fehlende Kontaktaufnahme zum Mandanten, rechtfertigt den Widerruf der Beiordnung (AG Köln StraFo 2016, 208 = StV 2016, 491).

 

Hinweis:

Weigert sich der Vorsitzende beharrlich, den derzeitigen Pflichtverteidiger des Angeklagten zu entpflichten, obwohl ihn dieser über einen Zeitraum von etwa zweieeinhalb Monaten nicht in der JVA zu einem Mandantengespräch und zur Vorbereitung der Verteidigung aufgesucht und ihn in der Hauptverhandlung zum ersten Mal gesehen hat, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit des Richters (und damit seine Demission), insbesondere, wenn vom Angeklagten ein Wahlverteidiger als Ersatz für den bisher untätigen Pflichtverteidiger benannt worden ist (AG Köln a.a.O.).

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