Bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe wird – auch wenn es sich hierbei nicht um eine starre Grenze handelt – unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat, die Bestellung eines Pflichtverteidigers i.d.R. geboten sein, auch wenn sich die Straferwartung erst aus einer wertenden Gesamtschau ergibt (vgl. u.a. LG Berlin, Beschl. v. 17.6.2015 – 504 Qs 67/15 [sog. Gesamtstrafübel]; LG Kleve, Beschl. v. 14.11.2014 – 120 Qs 96/14, NStZ-RR 2015, 51 = StRR 2015, 183; AG Backnang, Beschl. v. 2.12.2014 – 2 Ds 95 Js 81545/13, StRR 2015, 184). Auch bei einer Strafdrohung unterhalb eines Jahres liegt aber ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers nach einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung geboten erscheint, wie z.B. wegen einer erforderlichen besonders kritischen Würdigung von Zeugenaussagen aus dem familiären Umfeld (AG Backnang, a.a.O.).

Als schwerwiegender mittelbarer Nachteil, den der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat und der die Bestellung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen kann, ist die ggf. in einem anderen Verfahren drohende Unterbringung nach § 64 StGB von Bedeutung (LG Braunschweig, Beschl. v. 20.3.2015 – 14 Qs 21/15). Ist im vorliegenden Verfahren lediglich eine Geldstrafe zu erwarten, so ist eine Pflichtverteidigerbestellung nicht allein deswegen unter dem Gesichtspunkt "Schwere der Tat" anzuordnen, weil der Bewährungswiderruf hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder höher droht (LG Kleve, a.a.O.).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge