In der StPO ist an zwei Stellen die Unverzüglichkeit der Vorführung des Beschuldigten geregelt, und zwar einmal in § 115 Abs. 1 StPO nach dem Ergreifen aufgrund eines bereits erlassenen Haftbefehls (§ 115 Abs. 1 StPO) und dann in §§ 127, 128 Abs. 1 S. 1 StPO nach der vorläufigen Festnahme des Beschuldigten (zur Vorführung und zur vorläufigen Festnahme s. Burhoff, EV, Rn 4863 ff., 4928 ff.).

Mit den Unterschieden der jeweiligen Sachlagen hat sich der BGH (Urt. v. 28.6.2018 – 3 StR 23/18) befasst. Fazit: Nach seiner vorläufigen Festnahme ist der Beschuldigte unverzüglich dem Richter vorzuführen, wobei ein Hinausschieben der Vorführung innerhalb der Frist des § 128 Abs. 1 S. 1 StPO zur Durchführung von Nachvernehmungen sachdienlich und zulässig sein kann. Der Entscheidung liegt folgender – in der Praxis – nicht seltener Sachverhalt zugrunde: Am Morgen des 28.1.2015 fanden bei den Angeklagten richterlich angeordnete Hausdurchsuchungen statt. "In der Folge" wurde die Angeklagten, vorläufig festgenommen und nach Belehrungen nach § 136 Abs. 1 S. 1, 2 StPO vernommen. Die Angeklagten haben sich zur Sache eingelassen. Im Anschluss an die Vernehmungen wurden die Vernehmungsprotokolle dem Ermittlungsleiter übergeben und ihr Inhalt in einer Teamsitzung von den ermittelnden Polizeibeamten besprochen, die am folgenden Tag Nachvernehmungen durchführten. Danach wurden die Angeklagten noch in der Frist des § 128 Abs. 1 S. 1 StPO am 29.1.2015 dem Haftrichter vorgeführt. Der hat Haftbefehle erlassen. Die Angeklagten haben in der Revision ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der vom LG verwerteten Vernehmungen – gestützt auf einen Verstoß gegen § 136a StPO – geltend gemacht.

Der BGH hat die Verwertung als zulässig angesehen. Zwar sei nach § 128 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 104 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG erforderlich, dass der Beschuldigte "unverzüglich" dem Richter vorgeführt wird. Dass dies spätestens am nächsten Tag, d.h. bis zum Ende des auf die Festnahme folgenden Tages, geschehen muss, ändere am Erfordernis der Unverzüglichkeit nichts (BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009 – 2 BvR 2520/07). Doch dürfe die Vorführung nach vorläufiger Festnahme durch die Ermittlungsbehörden hinausgeschoben werden, soweit dies sachdienlich erscheine. Denn anders als bei der Festnahme auf der Grundlage eines bereits vorliegenden Haftbefehls, bei dem die Ermittlungsbeamten – mitunter ohne nähere Sachverhaltskenntnis und Entscheidungsbefugnis – den richterlichen Beschluss lediglich vollziehen und deshalb den Festgenommenen "unverzüglich" dem Richter vorzuführen haben (§ 115 Abs. 1 StPO; BGHSt 60, 38, 43 = NJW 2015, 265 = StRR 2015, 23 [Deutscher]), sei der Richter bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO mit der Sache noch nicht befasst gewesen. In diesen Fällen verbleibe den Ermittlungsbehörden ein gewisser zeitlicher Spielraum, in dem sie vor einer möglichen Vorführung des Beschuldigten vor den Richter weitere Ermittlungsbefugnisse und -pflichten haben. Denn die mit der Aufklärung des Sachverhalts betraute festnehmende Behörde habe zunächst – je nach Sachlage unter Vornahme weiterer Ermittlungen – zu entscheiden, ob die vorläufig festgenommene Person wieder freizulassen oder tatsächlich dem Ermittlungsrichter vorzuführen sei; im letzteren Fall müsse sie dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten. Es werde deshalb in vielen Fällen sachgerecht sein, den Beschuldigten, der häufig – so auch hier – nach ordnungsgemäßer Belehrung zu einer Einlassung bereit sei, nach Erklärung der vorläufigen Festnahme (weiterhin) zu vernehmen, um dann darüber zu befinden, ob ein Haftbefehl zu beantragen sei und welche Umstände, die dessen Erlass begründen können, dem Richter darzulegen seien. Damit werde dem Beschuldigten gleichzeitig ermöglicht, die Verdachtslage in seinem Sinne zu beeinflussen und etwaige Haftgründe zu entkräften, so dass ggf. auf die Stellung eines Haftbefehlsantrags sogar verzichtet werden kann (BGH NJW 1990, 1188). Dass hier diese Grundsätze befolgt worden seien, zeige – so der BGH – insbesondere der Umstand, dass ehemalige Mitbeschuldigte nach ihren Vernehmungen entlassen wurden.

 

Hinweise:

Offen gelassen hat der BGH die Frage, ob ein Verstoß gegen das Gebot der "Unverzüglichkeit" der Vorführung überhaupt ein Verwertungsverbot nach sich zieht (zu § 115 StPO vgl. BGH StV 1995, 283). Darauf musste er nicht eingehen, da er das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Hinblick auf den Richtervorbehalt nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 S. 1 EMRK, § 128 Abs. 1 S. 1 StPO nicht beanstandet hat.

Die Frage, ob in den Fällen eines auf § 136a StPO gestützten Beweisverwertungsverbots auch die Widerspruchslösung gilt, ist durch die Rechtsprechung des BGH an sich eindeutig entschieden. Auf die Fälle eines (originären) Verstoßes gegen § 136a StPO lässt sich danach die Widerspruchslösung wohl auf keinen Fall ausdehnen (vgl. dazu eindeutig BGH StV 2016, 772 [Ls.]; BGH, Beschl. v. 22.8.1995 – 1 StR 458/95; SSW-StPO/Eschel...

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