Vor einigen Wochen veröffentlichte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin den Arbeitszeitreport 2016 mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen. So fühlt sich beispielweise jeder achte Arbeitnehmer von seiner Arbeitsmenge überfordert und jeder zweite sieht sich belastendem Termin- und Leistungsdruck ausgesetzt. Diese Umstände sind inzwischen salonfähiges Diskussionsthema, dass sich an Stichworten wie "Burn-out" oder "psychosomatischer Erkrankung" schnell entzündet.

Auslöser kann u.a. eine Überlastung am Arbeitsplatz sein. Unsere Arbeitswelt besteht mehr und mehr aus Wissensarbeit. Der Zugriff auf einen ansteigenden Ozean von Informationen ermöglicht die Verkürzung von Vorarbeiten für die Erledigung jeglicher Aufgaben. Die Technologie unseres Jahrhunderts rechtfertigt Ungeduld mit den Möglichkeiten, immer mehr Bedürfnisse fast in Echtzeit zu erfüllen. "Alles", "Sofort" und "Jetzt" ist die Erwartungshaltung der nachwachsenden Generationen. Die ungeduldige Gesellschaft und ihre "Sofortness" ist eine Stresswurzel, die in Unternehmen nicht konsequent als Gefahrenquelle für die psychische Gesundheit gesehen wird.

Inzwischen existiert ein Überforderungsphänomen in der Arbeitswelt, welches langsam wie ein Schimmelpilz durch die Unternehmen wächst. Erreicht dieses Wachstum eine kritische Masse, droht der Funktionsausfall betroffener Arbeitsbereiche. Mit größtenteils erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen für die Unternehmen – und den betroffenen Arbeitnehmer.

Der Gesetzgeber hat reagiert: Um Arbeitsausfällen wegen psychischer Belastungen bei der Arbeit entgegenzuwirken, ist zum 1.1.2014 ein Zusatz im Gesetzestext zur psychischen Gefahrbeurteilung am Arbeitsplatz eingefügt worden. In § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG ist seither dokumentiert, dass sich eine Gefährdung für Arbeitnehmer auch durch eine psychische Belastung ergeben kann. Der Arbeitgeber ist mithin in der Pflicht, eine Gefährdungsbeurteilung seiner Beschäftigten – auch bzgl. möglicher psychischer Gefahren – in seinem Unternehmen vorzunehmen und erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ermitteln.

Rund zwei Jahre später sieht die Realität so aus, dass – wenn überhaupt – zumeist externe Dienstleister für eine Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden. Diese sollen – gestützt auf Fragebögen und Computerprogramme – Anzeichen für psychische Gefährdungen bei den Beschäftigten aufdecken. Ob pauschale Fragen wie z.B. "Ist für die vorhandene Qualifikation die Verantwortung zu hoch?" dies vermögen und sinnhafte Rückschlüsse auf eine tatsächliche Gefährdungslage zulassen, darf bezweifelt werden. Und wie viele Unternehmen setzen diese Pflicht überhaupt um? Und selbst wenn eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde, was sagt ein Ergebnis wie "Ihre Gefährdungsbelastung im Unternehmen beträgt 8 %" aus? Ob dies viel oder wenig ist, ob hier ein Handeln erforderlich ist und wenn ja, was zu tun ist, bleibt erst einmal offen.

Fakt ist: Führt der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Gefahren ernsthaft durch und erhält er zudem noch Überlastungsanzeigen sowie Priorisierungsanforderungen informierter Arbeitnehmer, verfügt er damit über genügend Informationen, um zu wissen, wo Überlastung und psychische Gefährdung im Unternehmen vorliegen. Arbeitgeber, die sodann nichts unternehmen und ihre Arbeitnehmer mit überfordernden Situationen alleine lassen, verletzten nicht nur ihre Fürsorgepflicht, sondern haben es sich selber zuzuschreiben, wenn die Produktivität des Unternehmens spürbar leidet.

Für uns Anwälte stellt sich bei der Beratung betroffener Arbeitnehmer die Frage, ob informierte Arbeitgeber wegen solcher Gesundheitsbeeinträchtigungen in die Haftung genommen werden können. Diese Frage wird – darauf lassen die Ergebnisse der vorgelegten Studie schließen – in absehbarer Zeit zur rechtlichen Beurteilung anstehen.

Autor: Rechtsanwältin Ulrike Wewers, Bonn

ZAP, S. 1205–1206

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