I. Allgemeines und Frist

Die Frist zur Einlegung einer Berufung beträgt grundsätzlich einen Monat ab Zustellung der Entscheidung gem. § 517 Hs. 1 ZPO sowie zwei Monate zur Begründung gem. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO. Eine Ausschöpfung dieser Fristen ist nicht zu empfehlen, denn die beabsichtigte Berufungsrüge kann an der Beweiskraft des Protokolls, des Tatbestands oder der fehlenden Urteilsergänzung scheitern, so dass die Zwei-Wochen-Frist zur Tatbestandsberichtigung (§ 320 Abs. 1, 2 S. 1 ZPO) bzw. zur Urteilsergänzung (§ 321 Abs. 2 ZPO) schon abgelaufen sein kann.

 

Hinweis:

Die Tatbestandsberichtigung hat mangels Änderung der Beschwer keinen Einfluss auf die Berufungsfrist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 517 Rn 6). Das Ergänzungsurteil (§ 321 ZPO) ist hinsichtlich des Rechtsmittels als selbstständiges Urteil anzusehen und kann die Frist für die Anfechtung des zuerst ergangenen Urteils nur dann verlängern, wenn es vor Ablauf der Berufungsfrist für das ergänzte Urteil erlassen ist (§ 518 ZPO). Das Protokoll kann jederzeit gem. § 164 Abs. 1 ZPO berichtigt werden.

II. Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO

Sollte ein Anspruch ausweislich der vorbereitenden Schriftsätze erhoben werden (§§ 297, 314 ZPO), ist er aber im Tatbestand nicht dokumentiert, muss zuerst die Tatbestandsberichtigung (ggf. mit Protokollberichtigung) erfolgen, bevor eine Urteilsergänzung erfolgen kann. Ist ein Anspruch hingegen verbeschieden, aber nicht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten geprüft oder wurden Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen, liegt keine Entscheidungslücke vor, sondern eine fehlerhafte Entscheidung, die nur mit der Berufung angegriffen werden kann (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, 4. Aufl., D Rn 237 f.).

Die Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO kommt in Betracht, wenn ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch oder ein Kostenpunkt vom Gericht im Urteil versehentlich übergangen worden ist. Die Urteilsergänzung ist von der Berufung dahingehend abzugrenzen, dass die Beschwer nicht in der erlassenen Entscheidung, sondern in einer unterlassenen Entscheidung liegt (der versehentlichen Nichtentscheidung über einen Haupt- oder Nebenanspruch bzw. Kostenausspruch). Übersehene Einwendungen oder die Richtigstellung anderer Fehler rechtfertigen eine Urteilsergänzung nicht (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2003 – IV ZR 149/02, NJW 2003, 1463 f.).

Problematisch kann dies dann werden, wenn die Beschränkung der Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers auf die Versicherungssumme (§ 12 StVG) im Tenor nicht ausgesprochen wurde (keine Berufung mangels Beschwer, wenn sich aus dem Urteil nur das StVG als Haftungsnorm ergibt, vgl. BGH, Urt. v. 22.9.1981 – VI ZR 170/80, NJW 1982, 447), während ein nicht eingeräumtes Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nur im Wege der Berufung geltend gemacht werden kann, denn in diesem Fall würde die Gewährung des Zurückbehaltungsrechts nicht nur zu einer Ergänzung des Tenors, sondern zu einer Änderung der bereits getroffenen Entscheidung führen (vgl. BGH NJW 2003, 1463 f.).

Zum Anwendungsbereich der Urteilsergänzung zählen u.a.:

Da die Abgrenzung der übersehenen Einwendungen vom versehentlich nicht beschiedenen Haupt- oder Nebenpunkt problematisch sein kann, wird in entsprechenden Fällen empfohlen, neben dem Urteilsergänzungsantrag auch Berufung einzulegen (vgl. Geisler jurisPR-BGH-ZivilR 23/2009 Anm. 2).

 

Praxishinweis:

Die Urteilsergänzung nach § 321 ZPO ist von der jederzeit möglichen Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeiten nach § 319 ZPO zu unterscheiden. Auch im Falle von "offenbaren Unrichtigkeiten" muss aus Gründen des sichersten Wegs die Berufung parallel eingelegt werden, denn ob das Verfahren nach § 319 ZPO zum Erfolg führt, ist ungewiss. Wird die offenbare Unrichtigkeit (auch nur von Amts wegen) berichtigt, wird die Berufung indes unbegründet (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. D, Rn 217 m.w.N.).

III. Tatbestandswirkung

1. Beweiskraft des Tatbestands

Der Tatbestand liefert gem. § 314 S. 1 ZPO jedenfalls positiven Beweis für das mündliche Parteivorbringen (positive Beweiskraft). Ein Gegenbeweis ist gem. § 314 S. 2 ZPO nur durch das Sitzungsprotokoll möglich. Damit kann zwar der Tatbestand durch das Protokoll widerlegt werden, aber umgekehrt kann ein Schweigen des Protokolls den Inhalt des Tatbestands nicht erschüttern (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. D, Rn 162): "Der Vorrang des Protokolls erstreckt sich nur auf diejenigen Punkte, die gesetzlich in das dem Urteil zugrunde liegende Protokoll aufzunehmen sind; dazu zählen nicht Einzelheiten des streitigen Verhandelns" (BGH, Urt. v. 21.12.2010 – VI ZR 312/09, ...

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