Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104, 140; BVerfG, Beschl. v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 zu § 124 VwGO). D.h., es genügt, "wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird" (BGH, Urt. v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, NJW 2004, 1876 f.). Das kann auch nur eine unterschiedliche Wertung, insbesondere aufgrund einer anderen Würdigung der erstinstanzlichen Beweise, sein (vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2016 – VI ZR 403/14).

Fehlerhafte Beweiswürdigungen können einen Rechtsfehler darstellen (z.B. Verkennung des Beweismaßes oder des Anwendungsbereichs des Anscheinsbeweises, Befolgung von nicht existenten Beweisregeln), aber auch ohne Rechtsfehler Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen darstellen (z.B. Verstöße gegen die Wahrheitspflicht, Beweisvereitelung, wechselnder Parteivortrag, unkritischer Umgang mit Zeugen oder Sachverständigen).

 

Hinweis:

Sich "aufdrängende Zweifel", die eine erneute Beweisaufnahme "förmlich gebieten", werden in der Rechtsprechung immer noch vertreten (z.B. OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 9.9.2010 – 10 U 1297/09, VersR 2011, 619, 621), sind aber mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu vereinbaren. Dies ändert aber nichts daran, dass bereits vor dem Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes die Berufungsgerichte nur bei sehr gewichten Anhaltspunkten die erstinstanzliche Beweiswürdigung in Zweifel gezogen hatten und dies durch das ZPO-Reformgesetz noch verstärkt wurde (vgl. Doukoff, a.a.O., Rn 510). Das erklärt sich weniger mit einer tatsächlichen Fehlerfreiheit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung (vgl. Doukoff, a.a.O., Fn 1511 m.w.N.), sondern mehr (verfahrenspsychologisch) mit dem sonst notwendigen Zwang zur Wiederholung der Beweiswürdigung.

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