aa) Sachverhalt (OLG Celle ErbR 2023, 135 ff. m. Anm. Kampmann)

Der Erblasser E war seit 1971 mit seiner Ehefrau A verheiratet. Aus der Ehe sind drei Abkömmlinge hervorgegangen. Im Jahre 2020 besprachen die Eheleute mit einem Notar ihre Testamentserrichtung. Im Anschluss übersandte der Notar den Eheleuten einen Urkundsentwurf. Der Entwurf sah eine gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute im ersten Erbfall vor. Als Schlusserben sollten die drei Abkömmlinge zu gleichen Teilen eingesetzt werden. Die Verfügungen sollten bindend sein, wobei zugunsten des überlebenden Ehegatten eine Abänderungsklausel dahingehend enthalten war, dass der überlebende Ehegatte die Schlusserbfolge ändern durfte. Unabhängig von dem übersandten Entwurf verfügten die Eheleute im Jahre 2021:

Zitat

„E und A wollen unseren Restbesitz durch ein Berliner Testament vererben.”

Die Verfügung von Todes wegen wurde eigenhändig geschrieben und unterschrieben. A unterzeichnete das Testament ebenfalls. Das Nachlassgericht stand nun vor der Frage, ob die Eheleute ein wirksames „Berliner Testament” errichtet haben.

bb) Entscheidung

Im Wege der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments stellte das Gericht fest, dass der Wille der Eheleute bei der Unterzeichnung darauf gerichtet war, dass sie sich gegenseitig zu alleinigen Vollerben und die drei gemeinsamen Abkömmlinge zu gleichen Teilen als Schlusserben bei Tod des überlebenden Ehegatten einsetzen wollten. Zwar haben die Eheleute sich ausschließlich auf den Begriff "Berliner Testament" beschränkt, ohne die Einzelheiten der von ihnen gewollten Erbfolge anzugeben, wodurch ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine wirksame Erbeinsetzung vorliegen würde. In dem zur Entscheidung vorliegenden Fall liegen aber solche Umstände vor. Bei der erläuternden Auslegung sind zur Ermittlung des Inhalts der einzelnen Verfügung der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments heranzuziehen und zu würdigen. Das Gericht würdigte hier insb. die vorherige Beratung der Eheleute durch den Notar, der diesen den Begriff „Berliner Testament” umfänglich erläutert und einen entsprechenden Entwurf übersandt hatte.

Zitat

„Ungeachtet des nicht eindeutigen Inhalts des Begriffs „Berliner Testament” kann die Formulierung in einem gemeinschaftlichen Testament, man wolle den "Restbesitz durch ein Berliner Testament vererben‘ dahingehend ausgelegt werden, dass sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Vollerben und die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen als Schlusserben beim Tod des überlebenden Ehegatten einsetzen, wenn sich die Eheleute vorher rechtlich hatten beraten lassen und ein Notar ihnen einen Entwurf übersandt hatte, der die gegenseitige Erbeinsetzung und die Schlusserbeinsetzung der Kinder zum Inhalt hatte."

Für die Beteiligten ist die Entscheidung interessengerecht und dürfte dem wirklichen Willen der Eheleute entsprechen. Kritisch hinterfragt werden kann aber, ob das Gericht den erbrechtlichen Bestimmtheits- und Formzwang vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend berücksichtigt. Der BGH hat in einer Entscheidung zum „testamentum mysticum” festgehalten, dass es für eine wirksame Erbeinsetzung nicht genügt, wenn im Testament auf nicht der Testamentsform entsprechende Schriftstücke Bezug genommen wird und sich im Testament selbst keine ausreichenden Anhaltspunkte für den Erblasserwillen finden (BGH NJW 2022, 474 ff.). Zwar muss die Person des Erben in der Verfügung nicht benannt, aber unzweifelhaft identifizierbar sein und darf sich nicht erst aus einer formunwirksamen Anlage ergeben. Entsprechend stellt das OLG fest, dass bei der Bezeichnung „Berliner Testament” keine wirksame Erbeinsetzung vorliegt. Es leitet die Schlusserbeneinsetzung ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den notariellen Entwurf aus der vorherigen Beratung her, wodurch streng genommen aus der o.g. Verfügung die drei Abkömmlinge der Eheleute nicht als Schlusserben unzweifelhaft zu identifizieren wären.

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