1. Bindungswirkung des Zulassungsbeschlusses für das Berufungsverfahren

In der gerichtlichen Praxis wird immer wieder die Unklarheit über den Prüfungsinhalt im Berufungszulassungsverfahren und im anschließenden Berufungsverfahren sichtbar, insbesondere hinsichtlich der Bindungswirkung des Zulassungsverfahrens für das Berufungsverfahren. Das BVerwG hat in seinem Beschluss vom 1.3.2016 (2 B 105.15) klargestellt, dass eine inhaltliche Bindungswirkung des Zulassungsbeschlusses für das Berufungsverfahren nach geltendem Prozessrecht nicht besteht. Der Zulassungsbeschluss sei vielmehr allein darauf gerichtet, die Sachprüfung in einem Berufungsverfahren überhaupt erst zu ermöglichen. Er nehme diese aber nicht vorweg. Werde der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel bemüht, seien diese bereits dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden seien.

 

Hinweis:

Der Zulassungsbeschluss beinhaltet damit allein die Aussage, dass die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts in einem Berufungsverfahren nachzuprüfen ist (vgl. § 124a Abs. 5 S. 3 VwGO). Er enthält aber keinerlei Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der nachfolgenden Berufungsentscheidung. Das Berufungsgericht ist daher auch im Falle der Berufungszulassung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht daran gehindert, nach Sachprüfung im Berufungsverfahren die Zweifel für ausgeräumt zu halten.

2. Terminsaufhebung wegen längerfristiger Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Stellt der Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten den Antrag auf Terminsaufhebung, so ist ein erheblicher Grund für eine Aufhebung i.S.v. § 173 S. 1 VwGO, § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Das Gericht ist nur dann verpflichtet, einen Verhandlungstermin auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn anderenfalls dessen grundrechtlicher Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wäre. Das von § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO eröffnete Ermessen ist dann auf Null reduziert. Das rechtliche Gehör gebietet die Aufhebung oder Verlegung eines Verhandlungstermins, wenn der Prozessbevollmächtigte eines Verfahrensbeteiligten ohne sein Verschulden an der Teilnahme gehindert ist.

Einen beachtlichen Hinderungsgrund stellt insbesondere die vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit wegen einer Erkrankung dar. Zu deren Nachweis genügt i.d.R. die Vorlage einer privatärztlichen Bescheinigung. Hat das Gericht berechtigte Zweifel an der Verhandlungsunfähigkeit, etwa weil wiederholt kurzfristig ärztliche Bescheinigungen ohne Diagnose vorgelegt werden, muss es Nachforschungen anstellen. Zusätzliche Anforderungen an den Nachweis einer Erkrankung setzen voraus, dass greifbare Anhaltspunkte für die Absicht der Prozessverschleppung bestehen. Auch in diesem Fall muss das Gericht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren versuchen, sich vor der Entscheidung über den Aufhebungs- oder Verlegungsantrag Klarheit zu verschaffen (BVerwG Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 285, S. 45).

Soweit der Prozessbevollmächtigte für sich in Anspruch nimmt, überhaupt nicht bzw. nur im Rahmen freiwilliger Selbstgefährdung stark begrenzt arbeitsfähig zu sein, hat er nach dem Beschluss des BVerwG vom 29.6.2016 (2 B 18.15) diesem Umstand durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen, durch die Einrichtung einer Vertretung oder durch die Abgabe des Mandats zu begegnen. Dies gelte selbst dann, wenn es der unbedingte Wunsch des vertretenen Prozessbeteiligten sein sollte, nur von dem jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten zu werden. Denn das Recht auf freie Wahl eines Prozessbevollmächtigten ende dort, wo dieser für einen längeren Zeitraum nicht mehr in der Lage sei, aus gesundheitlichen Gründen einen Prozess zu führen, und somit den angemessenen Fortgang des Verfahrens längerfristig verhindere.

3. Überlanges verwaltungsgerichtliches Verfahren

Nach § 198 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Materieller Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist gem. § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren, also der Zeitraum beim Verwaltungsgericht bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft (vgl. BVerwGE 147, 146 Rn 19) der das Rechtsmittel betreffenden Entscheidung. Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn 18 m.w.N.).

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