Nach § 198 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Materieller Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist gem. § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren, also der Zeitraum beim Verwaltungsgericht bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft (vgl. BVerwGE 147, 146 Rn 19) der das Rechtsmittel betreffenden Entscheidung. Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn 18 m.w.N.).

Nach dem Urteil des BVerwG vom 29.2.2016 (5 C 31.15 D) besteht der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG gem. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG auch für den Zeitraum vor der Erhebung der Verzögerungsrüge. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 3 S. 1 GVG („wenn“), sondern ergebe sich zwingend auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Dem stehe nicht entgegen, dass die Wiederholung der Verzögerungsrüge frühestens nach sechs Monaten zulässig sei (§ 198 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 GVG) und die Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden könne (§ 198 Abs. 5 S. 1 GVG). Die Karenzfrist des § 198 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 GVG diene dem Schutz des Gerichts vor „Kettenrügen“ in kurzen Abständen sowie der Entlastung der Betroffenen und ihrer Anwälte (vgl. BT-Drucks 17/3802, S. 21), was die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer während dieser Zeit nicht hindere. Mit der Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG solle dem Gericht hinreichend Zeit gegeben werden, auf die Verzögerungsrüge zu reagieren und das Verfahren in einer angemessenen Zeit abzuschließen oder in bereits verzögerten Verfahren eine Verlängerung der Verzögerung zu vermeiden (vgl. BT-Drucks 17/3802, S. 22).

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