Oben ist auf die Schwierigkeiten bei der Auslegung sozialrechtlicher Begriffe hingewiesen worden (s. I. 2. – Begriffe). So hat z.B. der Begriff "Arbeitnehmer" bis heute keine gesicherten juristischen Konturen gewonnen. Das beruht u.a. darauf, dass der Gesetzgeber auf eine Bestimmung des Begriffs "Arbeitnehmer" verzichtet hat. Auch in der Gesetzesbegründung sucht man vergeblich nach einer verbindlichen Definition dieses zentralen Begriffs. Dieses Ergebnis wäre unproblematisch zu vermeiden, wenn sich der Gesetzgeber entschließen würde, einen für alle Bereiche des Sozialrechts verbindlichen Begriff zu schaffen.

 

Literaturhinweis:

Zur Stellung des Sozialrechts im Rechtssystem wird verwiesen auf Hanau/Peters-Lange, Schnittstellen von Arbeits- und Sozialrecht, NZA 1998, 785 ff. Die nachfolgenden Ausführungen (von a – Gemeinsame Aufgabenbewältigung bis d – Fazit) basieren auf den Darlegungen von Hanau/Peters-Lange. Sie sind u.a. für die Vertiefung der Sprachkenntnisse mehr als nützlich.

a) Gemeinsame Aufgabenbewältigung

Probleme der Auslegung treten insbesondere bei inhaltlichen Beziehungen zwischen Sozialrecht und Privatrecht auf, wenn beide Disziplinen gemeinsame Aufgaben bewältigen, z.B. bei der Lösung gemeinsamer sozialer Konflikte. Darunter fällt u.a. die Sicherung des Einkommens aus abhängiger Beschäftigung, wenn ein Arbeitnehmer nicht oder nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeit zu erbringen. Die einschlägigen Normen des Arbeitsrechts (Privatrecht) stellen sicher, dass dem kranken Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung zu gewähren ist. Im Falle der Kündigung kommt eine Abgeltung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Betracht. Dem wegen Erwerbsunfähigkeit oder Alters aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer steht eine Betriebsrente zu.

Das Sozialrecht sorgt dafür, dass dem erkrankten Arbeitnehmer Krankengeld, dem gekündigten (und dadurch arbeitslos gewordenen) Arbeitnehmer Arbeitslosengeld zukommt. Für Arbeitnehmer, die infolge Invalidität oder Erreichen der Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, ist die Gewährung einer Rente vorgesehen.

b) Wechselseitiges Zusammenwirken von Sozial- und Privatrecht

Das wechselseitige Zusammenwirken der Gebiete Sozialrecht und Privatrecht kann in verschiedensten Formen erfolgen. Unterwirft das Sozialrecht Arbeitnehmer der Versicherungspflicht oder belegt es deren Einkommen mit Beiträgen bzw. ersetzt bei Eintritt der sozialen Risiken (Krankheit, Alter etc.) den Verlust von "Arbeitseinkommen" verweist es dabei i.d.R. auf arbeitsrechtliche Begriffe. Bei unterhaltsstützenden Sozialleistungen verweist das Sozialrecht ebenfalls auf privatrechtliche Begriffe (wie z.B. Kindschaft). Dabei wird das Privatrecht für sozialrechtliche Gestaltungen ausnahmslos präjudiziell.

Sind zwei (oder mehrere) Rechtsgebiete durch Präjudizialität verbunden, so ist folgenden Fragen nachzugehen:

  • Hat der in dem verweisenden Rechtssatz gebrauchte Begriff dieselbe Bedeutung wie in dem angestammten Rechtsgebiet?
  • Stimmt der Inhalt der Bezeichnung "Arbeitnehmer", "Arbeitseinkommen", "Ehe" mit der gleichnamigen privatrechtlichen Feststellung überein?

Würde der Verweisungsbegriff losgelöst und abweichend von dem angestammten Gebiet bestimmt, wäre die Verweisung grundlos. Der Gesetzgeber bezweckt mit der Verweisung, die Parteien der Privatrechtsverhältnisse zu schützen. Dies setzt die Übereinstimmung rechtlicher Wertungen voraus.

Das Sozialversicherungsrecht unterwirft Arbeitnehmer der Versicherungspflicht, um Vorsorge für den Verlust von Erwerbseinkommen aus Arbeit zu treffen. Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht teilen sich die Aufgabe der Sicherung von Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung. Die Gemeinsamkeit der Aufgabe erfordert, dass der Verweisungsbegriff mit dem des angestammten Gebietes übereinstimmt.

c) Konkurrenzlagen

Bei Konkurrenzsituationen ist zu unterscheiden zwischen Überschneidungen, Verdrängung und Ergänzung.

aa) Überschneidung

Bei der Überschneidung geht es um die Verdoppelung von Ansprüchen: Sozialrechtliche und privatrechtliche Angelegenheiten konkurrieren. Es gilt nun, sachwidrige Ergebnisse zu vermeiden.

 

Beispiel:

Die bei Leistungen an Unterhaltsberechtigte oder Verbrechensopfer entstehenden Konkurrenzlagen sind als Überschneidungen zu bezeichnen. Der Sozialleistungsträger erwirbt den privatrechtlichen Anspruch des Sozialleistungsempfängers. Dabei wird der Schuldner nicht auf Kosten der Allgemeinheit aus seiner (privatrechtlichen) Verantwortung befreit. Der Träger übernimmt anstelle des Gläubigers das Risiko der Schuldbeitreibung. Das Sozialrecht statuiert für die Gläubiger einer privatrechtlichen Forderung eine bürgschaftsähnliche Sicherung.

bb) Verdrängung

Konkurrenzsituationen beim Zusammentreffen von Sozialrecht und Privatrecht können durch Verdrängung aufgelöst werden. Wichtigstes Beispiel ist die gesetzliche Unfallversicherung: Sie hat die deliktische Haftung von Arbeitgeber und Arbeitskollegen für – einzelne – Arbeitsunfälle verdrängt.

Als weiteres Beispiel für eine Verdrängung des Sozialrechts durch Privatrecht ist auf die dem Arbeitgeber obliegende Pflicht zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit des Arbe...

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