Kein Schadenersatz des Arbeitnehmers bei vorläufig vollstreckbarem Urteil

Mit Urteil vom 24.6.2015 (6 AZR 462/14, NZA 2016, 108) hat das BAG entschieden: Arbeitnehmern steht weder ein Annahmeverzugslohnanspruch, noch ein Schadensersatzanspruch für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu, wenn sie zwar im Kündigungsschutzverfahren einen vorläufig vollstreckbaren Titel auf Weiterbeschäftigung erstreiten, dann aber nicht beschäftigt werden, sie auch die Zwangsvollstreckung auf Weiterbeschäftigung nicht betreiben und der Titel später aufgehoben wird.

Der 1962 geborene Kläger war seit dem 1.6.1990 bei der Beklagten u.a. mit der Pflege der Kundenkontakte aufgrund des Arbeitsvertrags von 2004 betraut. Die Vergütung betrug zuletzt 6.501,95 EUR brutto. Mit Schreiben vom 27.7.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.11.2006. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die er mit einem Antrag auf Weiterbeschäftigung verband. Die Beklagte warf dem Kläger vor, 23.700,00 EUR zweckentfremdet zu haben. Der Kläger ließ sich dahingehend ein, er habe das Geld mit Wissen und Wollen der Beklagten zur "Pflege von Kundschaft" verwendet. Das ArbG gab mit Urteil vom 8.2.2007 der Kündigungsschutzklage statt und verurteilte die Beklagte, den Kläger "bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als kaufmännischen Angestellten gemäß Anstellungsvertrag vom 23.5.1990 vorläufig weiterzubeschäftigen". Der Prozessbevollmächtigte des Klägers bat unter dem 23.2.2007 die Prozessbevollmächtigte der Beklagten höflich um Weiterbeschäftigung oder um Freistellung gegen Vergütungszahlung. Dem kam die Beklagte nicht nach, Vollstreckungsmaßnahmen ergriff der Kläger nicht.

Auf die Berufung der Beklagten wies das LAG mit Urteil vom 1.7.2008 die Kündigungsschutzklage und die Klage auf Weiterbeschäftigung ab. Wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers wurde das Urteil vom BAG aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen (BAG 12.3.2009 – 2 AZN 1133/08). Im erneuten Berufungsverfahren gab das LAG der Kündigungsschutzklage statt, löste aber auf den Hilfsantrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.1.2007 gegen Zahlung einer Abfindung von 50.462,53 EUR brutto auf. Die Klage auf Weiterbeschäftigung wies es ab, weil der Kläger wegen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine Weiterbeschäftigung beanspruchen könne. Die dagegen (nur) von der Beklagten eingelegte Revision blieb erfolglos (BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 2 AZR 694/11, BAGE 142, 188).

Der Kläger begehrt zuletzt Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Monate Dezember 2006 und Januar 2007 sowie von Schadensersatz in Höhe des im Zeitraum März bis Dezember 2007 entgangenen Verdienstes, weil die Beklagte der erstinstanzlich titulierten Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung nicht nachgekommen sei. Dass er nicht vollstreckt habe, sei unerheblich. Denn eine Weiterbeschäftigung könne in keinem Fall gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt werden, diesem drohe allenfalls Zwangsgeld.

Wie schon das LAG wies auch das BAG die (weitergehende) Klage ab. Zwar hat der Kläger für die Monate Dezember 2006 und Januar 2007 Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, §§ 615 S. 1, 611 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 293 ff. BGB. Aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 27.7.2006 bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien im Anspruchszeitraum fort. Die Beklagte befand sich mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers im Verzug, ohne dass es eines – über die Erhebung der Kündigungsschutzklage hinausgehenden – Angebots der Arbeitsleistung durch den Kläger bedurft hätte.

Doch hat der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz entgangenen Verdienstes wegen Nichtbeschäftigung in der Zeit vom 1. März bis zum 31.12.2007. Ein bestehender Annahmeverzug ist durch die rechtskräftige Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG zu dem von § 9 Abs. 2 KSchG bestimmten Zeitpunkt kraft Gesetzes nachträglich entfallen. Annahmeverzug setzt zumindest ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers wird durch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer angemessen Abfindung kompensiert.

Der Senat unterstellt zugunsten des Klägers eine schuldhafte Verletzung der Beschäftigungspflicht. Doch selbst dann ist die Klage unbegründet, weil der geltend gemachte Schaden – im Zeitraum März bis Dezember 2007 entgangener Verdienst – nicht im Schutzzweck der Norm liegt. Macht der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Vollstreckung eines Weiterbeschäftigungsurteils keinen Gebrauch, sehen weder die ZPO noch das ArbGG einen Schadensersatzanspruch wegen nicht freiwilliger Befolgung des nur vorläufigen, aber nicht rechtskräftig werdenden Titels vor. Zudem belegt § 717 Abs. 2 ZPO, welcher der Arbeitgeberin bei Aufhebung eines vorläufig vollstreckbaren Titels einen Schadenersatzanspru...

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