Hinsichtlich der Frage, ob den Rechtsanwalt neben der zivilrechtlichen auch eine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe von Handakten trifft, hat sich jetzt der Anwaltsgerichtshof (AGH) NRW auf die Seite der Befürworter geschlagen. In einer Angelegenheit, in der ein Kollege nach Abgabe und abschließender Abrechnung des Mandats die zugehörigen Handakten nicht an den übernehmenden Kollegen weitergab, verhängte er deshalb eine Geldbuße gem. § 114 Abs. 2 BRAO gegen ihn (AGH NRW, Urt. v. 29.5.2015 – 1 AGH 1/15).

Die Rechtsfrage einer auch aus der BRAO zu entnehmenden Pflicht zur Herausgabe von Handakten ist sehr umstritten. Aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 109, 260) wird zwar allgemein ein zivilrechtlicher Anspruch auf Herausgabe nach § 675 i.V.m. §§ 666, 667 BGB bejaht. Eine berufsrechtliche Pflicht soll jedoch nach einer starken Gegenmeinung (vgl. etwa AnwG Frankfurt/M. DStR 2011, 327; Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 50 Rn. 17; Scharmer, in: Hartung, BRAO, 5. Aufl. 2012, § 50 Rn. 77 f.) nicht bestehen. Eine solche Pflicht sei vor allem § 50 Abs. 3 BRAO nicht zu entnehmen. Auch ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 43 BRAO scheidet nach dieser Auffassung aus, weil sie zu unbestimmt sei.

So hatte im vorliegenden Fall auch das erstinstanzliche Anwaltsgericht in Düsseldorf eine Verurteilung des Kollegen abgelehnt. Der AGH NRW hob jedoch auf Berufung des Generalstaatsanwalts hin dieses Urteil auf und sprach den Anwalt schuldig. Eine Herausgabepflicht sei zwar nicht ausdrücklich in § 50 BRAO geregelt. Sie sei aber der Generalklausel des § 43 BRAO i.V.m. §§ 675, 667 BGB und inzident auch der Vorschrift des § 50 BRAO zu entnehmen. Ein Mandant, der unter Beendigung des Mandats seine Rechtsangelegenheit mit Hilfe eines anderen Anwalts weiterverfolge, könne mit Fug und Recht erwarten, dass er seine dem früheren Bevollmächtigten ausgehändigten Originalunterlagen zurückerhalte. Sei der Rechtsanwalt hinsichtlich seiner Gebühren und Auslagen befriedigt, sei, so der AGH, "keinerlei Grund erkennbar", die Herausgabe zu verweigern.

Mit immerhin 2.000 EUR fiel die Geldbuße gegen den Kollegen recht deutlich aus. Einen Verbotsirrtum wollten die Richter des AGH ihm trotz der Umstrittenheit der Rechtsfrage nicht zubilligen.

[Red.]

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