I. Allgemeines

Neben der Geschwindigkeitsüberschreitung (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 9, S. 877 ff.) und dem Rotlichtverstoß (vgl. Burhoff ZAP F. 9, S. 919 ff.) sind (Abstands-)Verstöße gegen § 4 StVO in der Praxis die mit am häufigsten begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten. Für den Betroffenen sind auch diese Verstöße von großer Bedeutung, da bei einer erheblichen Abstandsunterschreitung nach Tabelle 2 BKatV ein Fahrverbot verhängt werden kann. Das gilt besonders für die Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands auf der Bundesautobahn (BAB), wo häufig zu nah aufgefahren wird (s. allgemein zur Abstandsmessung Burhoff in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, Rn 76 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, OWi]; Burhoff/H.-P. Grün u.a./Böttger, OWi, Rn 93 ff.; Burhoff/Gieg, OWi, Rn 138 ff.; Burhoff in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 4. Aufl. 2016, § 3 Rn 86 ff. [im Folgenden Burhoff/Grün u.a.]).

 

Hinweise:

Wegen dieser besonderen Bedeutung von Verstößen gegen § 4 StVO ist es wie bei der Geschwindigkeitsüberschreitung und dem Rotlichtverstoß besondere Aufgabe des Verteidigers, auf "Schwach- bzw. Angriffspunkte" im tatrichterlichen Urteil des Amtsrichters zu achten. Auf die wesentlich zu beachtenden Punkte weist dieser Beitrag hin.

Dabei wird ein "Prüfungsschema" eingehalten, das der Verfasser auch als Rechtsbeschwerderichter verwendet hat. Mit einer Aufhebung des Urteils durch das OLG entgeht der Betroffene zwar möglicherweise nicht endgültig der Verurteilung wegen der ihm zur Last gelegten Abstandsunterschreitung. Aufhebung und Zurückverweisung führen jedoch dazu, dass zwischen Tat und endgültiger Verurteilung eine ggf. so lange Zeitspanne liegt, dass möglicherweise schon deshalb kein Fahrverbot mehr verhängt werden kann (vgl. dazu auch Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1444 ff.; wegen weiterer Nachweise s. Burhoff ZAP F. 9, S. 877).

II. Abstand nach der StVO

1. Bestimmung des erforderlichen Abstands

a) Sicherheitsabstand

Die StVO regelt nicht konkret, welcher Abstand zum Vordermann eingehalten werden muss. § 4 Abs. 1 StVO bestimmt nur, dass der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug i.d.R. so groß sein muss, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. In der Praxis wird der erforderliche Sicherheitsabstand i.d.R. mit der Anwendung einer "Faustregel" bestimmt. Danach gilt als erforderlicher Sicherheitsabstand allgemein der "halbe Tachoabstand". Hierbei handelt es sich allerdings nur um einen unverbindlichen Maßstab (AG Homburg/Saar DAR 1998, 31). Die obergerichtliche Rechtsprechung ermittelt den Sicherheitsabstand genauer. Nach der Rechtsprechung darf der Sicherheitsabstand zwischen zwei Kfz auf einer Schnellstraße den von dem nachfolgenden Kfz in 1,5 sec. zurückzulegenden Weg grundsätzlich nicht unterschreiten (vgl. u.a. OLG Düsseldorf VRS 74, 451; OLG Hamm VRS 55, 211; OLG Köln VRS 67, 286; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 83).

 

Hinweis:

Nach Nr. 12.5 ff., Tabelle 2 BKatV ist bei der Bemessung des Sicherheitsabstands im Rahmen der Bußgeldbemessung aber vom halben Tachowert auszugehen (BayObLG NJW 1988, 273 m.w.N.). Daran ist der Tatrichter gebunden.

Davon zu unterscheiden ist noch der gefährdende Abstand. Er liegt vor, wenn der Sicherheitsabstand geringer ist als die in 0,8 sec. durchfahrene Strecke (vgl. u.a. OLG Köln NZV 1992, 371 = VRS 83, 339).

b) Sonderfall: Lkw

In § 4 Abs. 3 StVO ist allerdings konkret bestimmt, dass Lastkraftwagen über 3,5 t oder Omnibusse, wenn eine höhere Geschwindigkeit als 50 km/h auf einer BAB gefahren wird, 50 m Mindestabstand einzuhalten haben. Auf eine konkrete Gefährdung wird dabei nicht abgestellt. Es handelt sich auch nicht nur um einen "Einscherabstand", sondern um einen konkret bestimmten Sicherheitsabstand. Dieser Abstand ist daher auch auf Strecken einzuhalten, auf denen das Überholen verboten oder wegen einer durchgehenden Fahrstreifenbegrenzung faktisch nicht möglich ist. Die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVO ist im Geltungsbereich des § 4 Abs. 3 StVO nicht anzuwenden (OLG Saarbrücken VRS 110, 369).

 

Hinweis:

Nach Auffassung des AG Lüdinghausen liegt ein Grenzfall des Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 StVO vor, wenn der Betroffene bei einer sich an die Untergrenze des § 4 Abs. 3 StVO annähernden Geschwindigkeit den für Pkw geltenden "Halben-Tacho-Abstands" einhält (hier: Geschwindigkeit von 56 km/h; Abstand zum Vordermann: 37 m). In einem solchen Grenzfall könne dann bei einem Lkw-Fahrer eine Geldbuße unterhalb der Eintragungsgrenze für das Fahreignungsregister (FAER) festgesetzt werden (AG Lüdinghausen, Beschl. v. 20.6.2016 – 19 OWi-89 Js 891/16-87/16).

2. Nicht nur vorübergehende Abstandsunterschreitung

Für die Feststellung und die Bejahung eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen § 4 StVO müssen noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Erforderlich ist zunächst, dass der erforderliche Sicherheitsabstand zu irgendeinem Zeitpunkt der Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar unterschritten wurde (OLG Hamm zfs 2015, 711 = VRR 3/2015, 2 [Ls.] = VA 2015, 69; OLG Koblenz VRR 2007, 232 [Ls]; OLG Rostock VRR 2014, 473 = VA 2014, 209 = NZV...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge