Im Berichtszeitraum hat die Frage, ob in den sog. Raserfällen von einem (bedingten) Tötungsdelikt auszugehen ist, in der Praxis eine große Rolle gespielt. Grundlegend hat der BGH dazu im sog. Berliner "Ku‘damm-Raser-Fall" Stellung genommen.

Das LG Berlin hatte mehrere Angeklagte nach einem "Verkehrsunfall" u.a. wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes (§ 211 StGB) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Festgestellt worden war vom LG ein spontanes Autorennen auf dem Kurfürstendamm (Ku'damm). Die Angeklagten fuhren bei dem Rennen unter Missachtung von Rotlicht einer Lichtzeichenanlage mit Geschwindigkeiten von mindestens 139 bzw. mindestens 160 km/h in eine Kreuzung ein. Spätestens zu dem Zeitpunkt – so hat es das LG festgestellt – sei den Angeklagten bewusst gewesen, dass ein berechtigt in den Kreuzungsbereich einfahrender Verkehrsteilnehmer im Falle einer Kollision mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würde. Die körperliche Schädigung anderer, einschließlich der Beifahrerin eines der Angeklagten, sei ihnen aber gleichgültig gewesen. Es kam dann zu einer Kollision mit dem Pkw des Geschädigten, der noch an der Unfallstelle verstarb. Die Beifahrerin des zweiten Angeklagten wurde schwer verletzt.

Der BGH hat die Verurteilung mit Urt. v. 1.3.2018 (4 StR 399/17, NJW 2018, 1628 = VRR 4/2018, 15 = StRR 4/2018, 19) aufgehoben. Er beanstandet im Wesentlichen drei Punkte:

  • Das LG habe den bedingten Tötungsvorsatz erst für den Zeitpunkt festgestellt, als die Angeklagten in die Kreuzung, in der es dann zum Unfall kam, schon eingefahren waren und sie keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kollision mehr hatten. Daraus folge, dass sich das LG nicht die Überzeugung verschafft habe, dass die Angeklagten den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers schon vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich als möglich erkannten und billigend in Kauf nahmen. Hätten die Angeklagten aber den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in die Kreuzung gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen einer Vorsatztat nur Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war. Dem Urteil sei ein solch unfallursächliches Verhalten der Angeklagten, das zeitlich mit der Fassung eines Tötungsvorsatzes zusammenfiel oder diesem nachfolgte, nicht zu entnehmen.
  • Darüber hinaus fehlt dem BGH eine Auseinandersetzung mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt, nämlich der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Fall einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug. Zwar gebe es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergehe. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, könne aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.
  • Und: Den vom LG unterstellten Erfahrungssatz, nach dem sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Kraftfahrzeug grundsätzlich sicher fühle und jegliches Risiko für die eigene Unversehrtheit ausblende, gibt es nach Auffassung des BGH nicht. Zudem sei von der Strafkammer ein entsprechendes Vorstellungsbild konkret auf die Angeklagten bezogen nicht belegt. Gerade angesichts der objektiv drohenden Unfallszenarien – Kollisionen an einer innerstädtischen Kreuzung bei mindestens 139 bzw. 160 km/h – verstehe sich dies auch nicht von selbst.
 

Hinweis:

Der BGH (a.a.O.) hat das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Damit ist die Sache aber noch nicht endgültig entschieden. Vor allem ist durch den BGH nicht endgültig geklärt, ob in den "Raser-Fällen" nicht doch Mord vorliegen könnte. In meinen Augen handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die auf der Grundlage der vom LG getroffenen Feststellungen kaum anders ergehen konnte. Man sollte in dem Zusammenhang aber nicht den Hinweis des BGH (a.a.O.) für das weitere Verfahren überlesen, wonach – wenn man bei der neuen Verhandlung wieder zum Vorsatz kommt – auch das Mordmerkmal der Heimtücke zu erörtern sein dürfte. Die Diskussion ist also lange noch nicht beendet (vgl. auch u.a. Hörnle NJW 2018, 1576; Eisele JZ 2018, 549).

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