Auch scheinbar gut bekannte und vorschnell als leicht beherrschbar wahrgenommene Rechtsthemen bieten immer wieder aufs Neue Fehler- und Haftungspotenzial. Gerade der (ggf. abgestuften) Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG, Urt. v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, Rn 40, NZA 2016, 161; BAG 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, Rn 27, NZA 2013, 726; BAG, Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, RzK I 6a Nr. 82) muss im Kündigungsschutzprozess zu jedem Zeitpunkt Aufmerksamkeit geschenkt werden und der eigene Sachvortrag nebst Beweismitteln hieran angepasst werden. Sonst droht das Unterliegen im Rechtsstreit.

Für das Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 23 Abs. 1 S. 2 bzw. S. 3 KSchG trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Einer größeren Sachnähe des Arbeitgebers und etwaigen Beweisschwierigkeiten des Arbeitnehmers ist durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen. Die einen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Entsprechend der Unterscheidung zwischen "Betrieb" und "Unternehmen" in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betriebsbegriff auch in § 23 Abs. 1 KSchG nicht mit dem Unternehmen gleichzusetzen. Der Betriebsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung von Kleinbetrieben bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt. Die Durchbrechung des Betriebsbezugs des Schwellenwerts ist demnach nicht schon immer dann geboten, wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten gliedert, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (BAG, Urt. v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859). Arbeitnehmer zählen für die Bestimmung der Betriebsgröße i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG nur mit, wenn sie in die betriebliche Struktur eingebunden sind. Dafür ist erforderlich, dass sie ihre Tätigkeit für diesen Betrieb erbringen und die Weisungen zu ihrer Durchführung im Wesentlichen von dort erhalten. Gelegentliche Besuche eines Betriebs in einem Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten im Rahmen von Meetings und Präsentationen reichen für eine Einbindung in den Betrieb nicht aus (BAG, Urt. v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196). Bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG sind im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem "in der Regel" vorhandenen Personalbedarf beruht. Da § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG auf die "in der Regel" im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße nicht auf die zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Maßgebend ist die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung. Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen (BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726).

 

Praxistipp:

Regress droht für den Anwalt, wenn er den Mandanten nicht ordnungsgemäß über den Kleinbetriebseinwand des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG belehrt. Der Anwalt, der seinen Mandanten nicht nachvollziehbar darüber aufgeklärt hat, welche Beschäftigten bei der Prüfung, ob ein Kleinbetrieb nach dem KSchG vorliegt, zu berücksichtigen sind, darf von seinem Mandanten keine zuverlässige Antwort über die Anzahl der Beschäftigten erwarten (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97, NJW 2000, 730; Brodski, DB 2019, 834 [835]).

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