Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat auf eine neue Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs aufmerksam gemacht, die strenge Anforderungen an die anwaltliche Beratungspflicht bei Vergleichen aufstellt. Danach müssen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihre Mandantinnen und Mandanten grds. in die Lage versetzen, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu treffen. Hierzu müssten sie über die Vor- und Nachteile des Vergleichs beraten. Die Beratungsbedürftigkeit entfalle erst dann, wenn der Mandant bzw. die Mandantin aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Bilde ist; dies habe jedoch der Rechtsbeistand darzulegen und zu beweisen (BGH, Urt. v. 20.4.2023 – IX ZR 209/21, s. ZAP EN-Nr. 448/2023 [in dieser Ausgabe]).

Der Fall: In einem Rechtsstreit um Feuchtigkeitsschäden an einem Hausgrundstück kam es – noch während das selbstständige Beweisverfahren lief – zu einem Vergleichsschluss zwischen dem Hauseigentümer und dem gegnerischen Landschaftsgärtner. Dieser sollte 55.000 EUR zahlen, womit alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag abgegolten waren. Später stellte sich heraus, dass die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten um das Vierfache höher lagen. Der Hauseigentümer verklagte daraufhin seinen Anwalt auf Schadensersatz i.H.d. Differenz, weil dieser ihn nicht über die Risiken des Vergleichsabschlusses beraten habe. Das LG wies die Klage allerdings ab, das OLG die anschließende Berufung: Die Abgeltungsklausel habe zu keiner besonderen Beratungspflicht geführt, schließlich sei Verbrauchern bekannt, was sie bedeute. Es hätten keine Prognoseschwierigkeiten bestanden, sondern der Sachverhalt und dessen künftige Entwicklung seien einfach im selbstständigen Beweisverfahren zu klären gewesen.

Das sah der BGH jetzt anders: Der Anwalt hätte seinen Mandanten über den Inhalt des Vergleichs, insb. im Hinblick auf die Abgeltungsklausel beraten müssen, so die Karlsruher Richter. Auf eine besondere Beratungspflicht wegen der Abgeltungsklausel müsse – anders als die Vorinstanz gemeint habe – gar nicht abgestellt werden. Der Rechtsanwalt sei nämlich bereits aus dem Anwaltsvertrag verpflichtet, seine Mandanten über Vor- und Nachteile und damit auch über die rechtlichen Wirkungen eines Vergleichs aufzuklären. Inhalt und Komplexität des Vergleichs sowie das Vorhandensein einer risikoreichen Abfindungsklausel beeinflussten lediglich Art und Umfang der Beratungspflichten.

Vorliegend treffe auch nicht zu, dass es vor Abschluss des Vergleichs keine Prognoseschwierigkeiten im Hinblick auf eine mangelhafte Leistung und mögliche Beschädigungen des Eigentums gegeben habe. Das hätte erst der Abschluss des Beweisverfahrens klären können. Die unklare Lage im Zusammenspiel mit der Abgeltungsklausel verpflichte den Anwalt, seinen Mandanten über bestehende konkrete Risiken aufzuklären.

Der BGH nutzte diesen Fall, um Grundsätze zur anwaltlichen Beratungspflicht bei Vergleichen zu formulieren. Dazu führte er u.a. aus: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seien grds. zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung über den sichersten und gefahrlosesten Weg verpflichtet. Ziel sei es, der Mandantschaft eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen („Weichenstellungen”) in ihrer Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Zu den entscheidenden Weichenstellungen zähle die Frage, ob diese Rechtsangelegenheit durch einen Vergleich beendet werden solle. Dazu bedürfe es in aller Regel einer anwaltlichen Beratung insb. über Vor- und Nachteile des Vergleichs. Diese Pflicht bestehe unabhängig vom vorgesehenen Inhalt desselben und unabhängig davon, ob ein Abfindungsvergleich geschlossen werde. Allerdings wachse der notwendige Beratungsaufwand mit der Komplexität des vorgesehenen Vergleichs und dessen (Abfindungs-)Folgen.

Dennoch sei nicht jeder Mandant bzw. jede Mandantin beratungsbedürftig. Die Pflicht entfalle, wenn er oder sie aus anderen Gründen über die erforderlichen Informationen verfüge und deshalb in der Lage sei, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen. Weil dies aber die Ausnahme und nicht die Regel sei, habe eine Anwältin/ein Anwalt grds. von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Dies gelte selbst gegenüber rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandantinnen und Mandanten. Die Rechtsanwältin/den Rechtsanwalt treffe daher auch im Regressprozess insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Da im vorliegenden Fall diese tatsächlichen Umstände noch zu klären waren, verwies der BGH die Sache an die Vorinstanz zurück.

[Quellen: BGH/BRAK]

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge