a) Allgemeines

Dem Wortsinn nach bedeutet Verkehrssicherungspflicht eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von Rechtspflichten, deren Erfüllung die Rechtsordnung jedem in Beziehung zu einer Gemeinschaft stehenden Menschen abverlangt. Die Grundlage der Pflicht, für den verkehrssicheren Zustand der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zu sorgen, kann aus Gesetz (z.B. Landesstraßengesetze), Verordnung, Satzung (z.B. Straßenreinigungssatzungen der Gemeinden) oder Vertrag herrühren, aber auch auf dem Grundsatz beruhen, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, dafür Sorge zu tragen hat, dass hierdurch kein Dritter geschädigt wird.

Kommt es zu einem Schaden, stellt i.d.R. § 823 Abs. 1 BGB die in Betracht kommende Anspruchsgrundlage dar. Ist die Verkehrssicherungspflicht als hoheitliche Amtspflicht ausgestaltet, wird diese Norm durch § 839 BGB verdrängt; ansonsten entspricht sie aber inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht und richtet sich nach §§ 823 ff. BGB (BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 45 StVO Rn 54, str.). Eine Einstandspflicht für Vermögensschäden scheidet aber stets aus (BGHZ 66, 398 = NJW 1976, 1846). Dagegen findet die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB wegen des Grundsatzes der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung der am Straßenverkehr Beteiligten keine Anwendung (BGHZ 118, 368 = NJW 1992, 2476). Voraussetzungen in beiden Fällen sind das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht, die Verletzung dieser Pflicht, Rechtswidrigkeit und Verschulden sowie der kausale Eintritt eines Schadens.

b) Verkehrssicherungspflichtiger

Träger der Verkehrssicherungspflicht ist derjenige, der die Gefahrenquelle geschaffen hat und der auf sie einzuwirken in der Lage ist. Dies muss nicht der Eigentümer sein, denn die Schaffung der Gefahrenlage folgt nicht aus der Eigentümerstellung, sondern erst aus der Eröffnung des Verkehrs (BGH NZV 1994, 148; NJW 2007, 762; 2013, 48).

aa) Öffentliche Straßen

Für die öffentlichen Straßen ist die Verkehrssicherungspflicht in den verschiedenen Straßengesetzen geregelt. So obliegt z.B. die Verkehrssicherungspflicht für die Bundesfernstraßen i.S.d. § 1 BFStrG den Ländern, da ihnen insoweit gem. Art. 90 GG die Auftragsverwaltung auferlegt worden ist. Die Verkehrssicherungspflicht für die Landstraßen obliegt i.d.R. nach den einzelnen Landesstraßengesetzen ebenfalls den Ländern, teilweise gilt Entsprechendes für die Kreisstraßen. Für Ortsstraßen und die Ortsdurchfahrten der Bundes-, Land- und Kreisstraßen ist die Verkehrssicherungspflicht in den einzelnen Landesgesetzen unterschiedlich geregelt; teilweise wird insoweit auch nach der Größe der Gemeinde differenziert, so dass die Verkehrssicherungspflicht die Gemeinde oder auch das Land trifft.

Für Radwege gilt Entsprechendes. Für Gehwege und Parkplätze sind stets die Gemeinden verkehrssicherungspflichtig; die Verkehrssicherungspflicht wird aber ggf. durch Satzung auf die Anlieger abgewälzt.

bb) Öffentlicher Verkehrsraum

Daneben gibt es im öffentlichen Verkehrsraum auch noch weitere Gefahrenquellen, wie z.B. umfallende morsche Bäume, in den Luftraum der Straße ragende Baumäste, Markisen oder Werbetafeln, Baustellen. Wer Träger der Verkehrssicherungspflicht ist, entscheidet sich nach den obigen Gesichtspunkten, richtet sich also danach, wer die Gefahrenquelle geschaffen hat; in den genannten Beispielsfällen kann dies der Grundstückseigentümer, der Ladenbesitzer oder der Bauunternehmer sein.

cc) Vertrag

Die Verkehrssicherungspflicht kann durch Vertrag übertragen werden. Träger der Verkehrssicherungspflicht ist dann in erster Linie derjenige, der sie übernommen hat. Auf die rechtliche Wirksamkeit des Übertragungsvertrags kommt es dabei nicht an (BGH NJW 2008, 1440). Daneben behält aber auch der ursprüngliche Träger der Verkehrssicherungspflicht gewisse Pflichten, bei deren Verstoß er gegenüber einem Geschädigten haftbar sein kann; denn auch bei einer Übertragung der Verkehrssicherungspflicht bestehen Aufsichts- und Kontrollpflichten fort (BGH NJW 1985, 270; NJW-RR 1989, 394; OLG Koblenz NJWE-VHR 1996, 70).

c) Umfang

Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht ist im Einzelfall zu bestimmen. Das Maß der Verkehrspflicht bestimmt sich nach der tatsächlichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Pflichtigen im Verhältnis zur Schadensgefahr und ihrer Erkennbarkeit für den potentiell Geschädigten. So besteht z.B. eine Räum- und Streupflicht bei Schnee und Glatteis bei Hauptstraßen und in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen (u.U. auch nur kurz vor und während der Hauptverkehrszeiten), dagegen nur eingeschränkt auf Nebenstrecken. Die Frage der Beseitigung gefährlicher Querrinnen etc. ist für Hauptstraßen anders zu beantworten als für Wirtschaftswege.

Im Ermessen des Verkehrssicherungspflichtigen liegt dabei auch die Frage, welches von mehreren möglichen Mitteln er wählt (vgl. BGHZ 108, 273 = NJW 1989, 2808; Burmann/Heß, in: Berz/Burmann, a.a.O., 9 A Rn 11; Hentschel/König, a.a.O., § 45 StVO Rn 51).

d) Einzelfälle

Die Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflichtverletzung ist außerordentlich reichhaltig und letztlich stet...

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