Der 66. Deutsche Anwaltstag (11. bis 13.6.2015 in Hamburg) hat sich auch mit dem Reformbedarf im Zivilprozess befasst. In Anwesenheit von Bettina Limperg, Präsidentin des BGH, wurden in drei Referaten und einer anschließenden Diskussion das Thema durchaus kontrovers behandelt.

Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Volkert Vorwerk behandelte die Beschlüsse des 70. DJT 2014 zum Zivilprozess. Er warb vor allem für die obligatorische Einrichtung von Spezialkammern/-abteilungen bei den Land- und Amtsgerichten, flexibilisierten Richtereinsatz und Strukturvorgaben für die Schriftsätze im Erkenntnisverfahren. Diese Verpflichtung, Schriftsätze nach Vorgaben zu strukturieren, müsse begleitet werden von der Verpflichtung des Gerichts zu vertiefter Prozessleitung.

Dr. Eberhard Schmidt-Elsaeßer, Staatssekretär im Justizministerium Schleswig-Holstein, berichtete vom Stand der Reformüberlegungen der Bundesländer. Die länderoffene Arbeitsgruppe "Verfahrenserleichterung im Zivilprozess" hatte ein Bündel von Vorschlägen gemacht, die nach Einschätzung des Referenten zur Zeit von der Gesamtheit der Bundesländer nicht forciert werden, da ein einheitlicher Reformwille und ein nachvollziehbares Reformkonzept bislang fehle. Vorgeschlagen waren u.a. die Erhöhung der Wertgrenzen für die Berufung, die Einführung einer zivilprozessualen Zulassungsberufung, die Einschränkung des selbständigen Beweisverfahrens, Zeugenvernehmung durch Bild und Ton von Amts wegen und Beweissicherung bei Urkunden durch Gerichtsvollzieher und Notare.

Ich selbst habe zum Reformbedarf und zu Realisierungschancen vorgetragen. Auffällig ist, dass die Bundesländer noch vor kurzer Zeit über eine Überlastung wegen zu vieler Zivilprozessverfahren geklagt haben, während in jüngster Zeit nach dem nunmehr eindeutig festzustellenden Rückgang der Eingangszahlen bei Amts- und Landgerichten eine Austrocknung der Ziviljustiz befürchtet wird. An einer Ursachenforschung fehlt es. Unklar ist auch, aus welchem Grund trotz der (maßvollen aber signifikanten) Reduzierung der zivilprozessualen Verfahren bei den Landgerichten die durchschnittliche Verfahrensdauer ansteigt. Ebenso unklar ist auch, aus welchem Grund die Anzahl der vor den Kammern für Handelssachen ausgetragenen Streitigkeiten sehr deutlich abnimmt. Vor dem Hintergrund der Reduzierung der Fallzahlen dürften Bestrebungen, die Bagatellgrenze des § 495a ZPO oder die Wertgrenze für die Berufung anzuheben, nicht zu rechtfertigen sein. Die bevorstehende Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs wird Richter und Rechtsanwälte erheblich belasten. Dieser Übergang will bewältigt sein. In einer solchen Übergangsphase sollten nur solche Verfahrensrechtsreformen realisiert werden, für die sich eine unbedingte Notwendigkeit ergibt.

Die Präsidentin des BGH regte im Rahmen der Diskussion an, eher eine reformpolitische Atempause im Zivilprozess einzulegen. Bestätige sich die Reduzierung der Fallzahlen, könnte dies zum Anlass genommen werden, vor den Landgerichten das Einzelrichterprinzip zugunsten des Kollegialprinzips wieder zu reduzieren und die gem. § 522 Abs. 2 ZPO mögliche Berufungszurückweisung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung wieder gänzlich abzuschaffen. Hoffentlich wird dieser Appell gehört.

Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln

ZAP 14/2015, S. 745 – 745

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