Die früher geltende Einschränkung, wonach ein Pflichtverteidiger möglichst aus dem Kreis der im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte ausgewählt werden sollte, ist mit dem 2. Opferrechtsreformgesetz entfallen (hierzu Burhoff ZAP F. 22, S. 483). Seitdem ist die Gerichtsnähe des Verteidigers keine wesentliche Voraussetzung für eine Beiordnung mehr (Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 StPO, Rn. 5). Außerdem ist es nicht mehr erforderlich, dass zwischen Angeklagtem und Verteidiger ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder dass der auswärtige Verteidiger über Spezialkenntnisse verfügt, die gerade seine Beiordnung erforderlich machen (KK-Laufhütte, § 142 StPO, Rn. 5).

 

Hinweis:

Das vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgegebene Kriterium der Ortsnähe darf auch nicht "durch die Hintertür" wieder eingeführt werden, etwa indem eine Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" o.ä. erfolgt. Derartige Beschränkungen sind unzulässig (KK-Laufhütte a.a.O.).

Gänzlich irrelevant ist der Kanzleisitz des Verteidigers aber nach wie vor nicht. So kann eine große Entfernung zum Gerichtsort im Einzelfall nach wie vor einen wichtigen Grund i.S.d. § 142 Abs. 1 S. 2 StPO darstellen, allerdings nur, wenn gerade hierdurch eine sachdienliche Verteidigung und/oder der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet werden (OLG Brandenburg StRR 2015, 42; SSW-StPO/Beulke, § 142 Rn. 22).

Dies wird freilich nur selten der Fall sein. Insbesondere beim nicht inhaftierten Angeklagten ist in der heutigen Zeit eine ausreichende Kommunikation auch ohne ständige Anwesenheit des Verteidigers vor Ort gewährleistet und ein längerer Anreiseweg des Verteidigers wird kaum einmal den Verfahrensablauf behindern (a.A. KG, Beschl. v. 8.7.2013 – 2 Ws 349/13, für eine Entfernung von ca. 540 km zum Kanzleisitz, diese brächte im verstärkten Maße Unzuträglichkeiten bei der Planung und Durchführung gerichtlicher Termine mit sich).

Darüber hinaus darf die Beiordnung des vom Angeklagten gewählten Verteidigers nicht allein deshalb unterbleiben, weil die Staatskasse ein Interesse daran hat, die Kosten der Verteidigung, insbesondere was Reisekosten betrifft, möglichst gering zu halten. Derartige Bestrebungen verstoßen gegen das auch dem Angeklagten, der keinen Wahlverteidiger hat, zustehende Recht, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden. Fiskalische Interessen haben hinter die Rechte des Angeklagten zurückzutreten (OLG Brandenburg StRR 2015, 42).

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