Kommt es im Verlauf des Verfahrens zu einem – massiven – Fehlverhalten des Verteidigers, kann dies einen wichtigen Grund für die Rücknahme der Bestellung darstellen.

Liegen die Voraussetzungen für eine Ausschließung des Verteidigers gem. §§ 138a, 138b StPO vor, kommt eine Rücknahme der Beiordnung nicht in Betracht. Stattdessen ist das Ausschlussverfahren gem. §§ 138c, 138d StPO zu betreiben (KK-Laufhütte, § 143 StPO Rn. 4).

Von der Möglichkeit der Rücknahme ist jedoch mit Zurückhaltung Gebrauch zu machen: Der Pflichtverteidiger ist kein Verteidiger "zweiter Klasse" und ebenso wie der Wahlverteidiger ausschließlich dem Interesse des Angeklagten verpflichtet. Besteht er auf der Einhaltung von Verfahrensvorschriften, darf dies nicht zum Anlass für eine Entpflichtung genommen werden (KG StV 2008, 68: keine Entpflichtung wegen der Weigerung, auf die Einhaltung der Ladungsfrist zu verzichten).

Aufgrund seiner Rechtsstellung unterliegt der Pflichtverteidiger ebenso wie der gewählte Verteidiger keiner "Disziplinargewalt" des Gerichts und es besteht auch keine Überwachungsbefugnis des Vorsitzenden (KK-Laufhütte, § 143 StPO Rn. 4). Die Möglichkeit der Rücknahme darf daher keinesfalls dazu missbraucht werden, den Verteidiger zu einem wie auch immer gearteten Wohlverhalten gegenüber dem Gericht zu zwingen.

Die Möglichkeit der Rücknahme ist daher auf Fälle gravierenden, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässigen, Fehlverhaltens beschränkt, insbesondere wenn der Verteidiger etwa durch vielfaches Unterbrechen des Vorsitzenden trotz wiederholter Ermahnung oder durch die lautstarke Abgabe von Erklärungen den Vorsitzende übertönt und hierdurch einen ordnungsgemäßen Fortgang der Hauptverhandlung nicht nur erschwert, sondern unmöglich macht (KG NStZ-RR 2009, 209). Außerdem wird – abgesehen von ganz extremen Fällen – vor der Rücknahme der Bestellung, eine vorherige Abmahnung des Verteidigers zu verlangen sein.

 

Hinweis:

Das Verhalten des Verteidigers muss auf eine Sabotage des Verfahrens abzielen, der bloße Streit mit dem Gericht oder anderen Verfahrensbeteiligten rechtfertig die Entpflichtung nicht. Dies gilt erst recht, wenn es einmalig zu Auseinandersetzungen kommt und das bisherige Verhalten des Verteidigers keinen Anlass zu der Besorgnis gibt, dass es zu Wiederholungen kommen könnte.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge