Vertragliche Vereinbarungen – auch solche, die im Wege von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vereinbart werden – sind vorrangig vor den Instituten der §§ 275, 313 BGB. Die Notwendigkeit der Vereinbarung von Regelungen zur "höheren Gewalt" ergibt sich daraus, dass im Vertrags- und Leistungsstörungsrecht des BGB derartige Fälle nicht geregelt sind.

 

Hinweis:

Das deutsche Recht kennt in anderen Rechtsbereichen durchaus Fälle höherer Gewalt, so beispielsweise im Straßenverkehrsrecht (§ 7 Abs. 2 StVG) oder im Reiserecht (§ 651j Abs. 1 BGB a.F.). Darüber hinaus ist zu beachten, dass im geltenden Leistungsstörungsrecht Fälle geregelt sind, in denen einem Vertragsteil ein präventives Leistungsverweigerungsrecht (sog. Unsicherheitseinrede nach § 321 Abs. 1 BGB) oder eine Rücktrittsmöglichkeit vom Vertrag gewährt wird (§ 323 Abs. 4 BGB).

Aus diesen Gründen finden sich in Verträgen oder auch in AGB vermehrt sog. Force-Majeure-Klauseln. Derartige Klauseln sehen auf der Tatbestandsebene typischerweise eine Definition von höherer Gewalt vor und knüpfen daran auf der Rechtsfolgenseite bestimmte Optionen. Letztere können vom vorübergehenden bis gänzlichen Ausschluss von Leistungsverpflichtungen bis hin zu Rücktrittsmöglichkeiten und/oder dem Ausschluss von Schadenersatzansprüchen jeglicher Art reichen – der Inhalt der Klausel kann individuell ausgestaltet werden. Während die Rechtsfolgenseite i.d.R. klar ausgestaltet sein wird und keine Auslegungsprobleme bereiten dürfte, liegt – gerade in Zeiten von COVID-19 – der Fokus auf der Ebene des Tatbestands.

 

Hinweis:

Selbstverständlich sind auch die zeitlichen Grenzen bei Force-Majeure-Klauseln zu berücksichtigen. Voraussetzung ist mithin, dass der Umstand, der zur Herbeiführung von höherer Gewalt führt, bei Vertragsabschluss unvorhersehbar gewesen sein muss.

Ob eine Force-Majeure-Klausel Anwendung findet, hängt nahezu ausschließlich von der verwendeten Definition der höheren Gewalt ab: Teilweise werden – beispielhafte oder auch abschließende – Fallbeispiele genannt, in denen von "höherer Gewalt" ausgegangen wird. Mithin müsste die Corona-Pandemie explizit vom Anwendungsbereich per definitionem umfasst sein. Enthält die Klausel dagegen keine eigenständige Definition, bedarf es einer Auslegung.

 

Definition:

Im deutschen Recht wird unter "höherer Gewalt" ein betriebsfremdes, von außen kommendes Ereignis verstanden, welches unvorhersehbar und ungewöhnlich ist und das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 30.5.1974 – III ZR 190/71; Urt. v. 16.5.2017 – X ZR 142/15).

Angesichts der weitreichenden Folgen von COVID-19 – gerade i.V.m. den umfassenden von Bund und Ländern erlassenen Maßnahmen (Betriebsschließungen, Kontaktverbot, teilweise Ausgangssperre etc.) – spricht vieles für die Annahme von höherer Gewalt im vorbezeichneten Sinne (Pfeiffer in jurisPK-BGB, 9. Aufl. [Stand: 3.4.2020], § 313 Rn 13.5). Insbesondere geht der deutsche Gesetzgeber selbst von einer Unvorhersehbarkeit aus. Dieser hat bekannterweise im März 2020 kurzfristig u.a. das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht erlassen. In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es mit Blick auf die Anpassungen bei Verbraucherdarlehensverträgen wortwörtlich: "Die Regelung ist nur anwendbar auf solche Darlehensverträge, die vor dem 15.3.2020 abgeschlossen wurden. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass zu diesem Zeitpunkt die Krise nicht mehr unvorhersehbar war." Im Umkehrschluss kann dies nur bedeuten, dass die Corona-Krise jedenfalls bis Mitte März dieses Jahres noch unvorhersehbar gewesen ist.

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