Problematisch gestaltet sich ferner die Frage nach der Anrechenbarkeit von zusätzlichen Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn. Der Gesetzgeber hat (trotz der Bitte des Bundesrates auf gesetzgeberische Klarstellung) darauf verzichtet, festzuhalten, welche Entgeltbestandteile bei der Feststellung des Mindestlohns zu berücksichtigen sind.

Fest steht, dass die Arbeitsvertragsparteien unverändert fixe und variable Vergütungselemente kombiniert miteinander vereinbaren können. Das ist den Erläuterungen des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung eindeutig zu entnehmen (BT-Drucks. 18/1558, S. 40 zu § 1 Abs. 2 MiLoG).

Bezüglich der Frage der Anrechenbarkeit wird grundsätzlich auf die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (sog. Entsenderichtlinie, vgl. deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. c.) bzw. des BAG zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG) zurückgegriffen (BT-Drucks. 18/1558, S. 84 f., wobei hier begrifflich der Mindestlohn mit dem Mindestentgelt nach dem AEntG gleichgesetzt wird bzw. als ein solches verstanden wird; dem zustimmend: Erfurter Kommentar/Franzen, § 1 MiLoG Rn. 12; Lembke NZA 2015, 70, 74; Sittard NZA 2014, 951, 952; a.A. Bayreuther NZA 2014, 865, 867 f. und Moll/Päßler/Reich MDR 2015, 125, 127). In der Gesetzesbegründung wird zudem die Rechtsprechung des EuGH und des zuständigen 4. Senats des BAG teils unzutreffend wiedergegeben. Europarechtlich ist der Begriff des Mindestlohns nicht definiert, so dass es grundsätzlich Sache des Rechts der Mitgliedstaaten ist, festzulegen, aus welchen Bestandteilen sich der Mindestlohn zusammensetzt (BAG, Urt. v. 16.4.2014, NZA 2014, 1277 ff.).

 

Hinweis:

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359; Urt. v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573) und des BAG (Urt. v. 18.4.2012 – 4 AZR 139/10, NZA 2013, 392; BAG, EuGH-Vorlage v. 18.4.2012 – 4 AZR 168/10 (A), NZA 2013, 386; BAG v. 30.3.2004, AP Nr. 170 zu § 112 BetrVG 1972) sind nicht alle Lohnbestandteile auf den Mindestlohn anzurechnen.

Für die Frage, ob ein Lohnbestandteil anzurechnen ist, ist von folgendem Grundsatz auszugehen: Auf den Mindestlohn sind alle Leistungen des Arbeitgebers anzurechnen, die von ihrer Funktion her dem Mindestlohnanspruch gleichwertig sind, die also die Normalleistung des Arbeitnehmers vergüten sollen. Ob eine funktionale Gleichwertigkeit vorliegt, muss in jedem Einzelfall entschieden werden. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass alle Leistungen nicht anrechenbar sind, die eine über die normale Arbeitsleistung des Arbeitnehmers hinausgehende Leistung, d.h. ein (quantitatives oder qualitatives) Mehr an Arbeit, abgelten sollen.

 

Hinweis:

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573) bleiben zudem solche Zahlungen des Arbeitgebers unberücksichtigt, die der Arbeitnehmer nur erhält, weil die Arbeit unter besonderen, erschwerten, belastenden oder gefährlichen Bedingungen erbracht wird, so dass die Zahlungen einen anderen Zweck als die Vergütung der Normalleistung verfolgen.

Danach dürfte eine Anrechenbarkeit bei folgenden Vergütungsbestandteilen nicht erfolgen:

  • Sonntags-, Feiertags-, Nachtarbeits-, Schichtarbeits- sowie Überstundenzuschläge, soweit es sich hierbei um Zahlungen handelt, die der Arbeitnehmer auf Verlangen des Arbeitgebers als Ausgleich für zusätzliche Leistungen als ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen erhält. Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitnehmer zulässigerweise zu diesen Leistungen, z.B. arbeitsvertraglich bei Überstunden, als Bestandteil der Regelarbeit verpflichtet ist (vgl. Wortmann ArbRB 2014, 346, 348). Dasselbe gilt für Spätschichtzuschläge, wenn und soweit die Erbringung der Arbeitsleistung in einer Spätschicht als "Normaltätigkeit" gilt (vgl. BAG, Urt. v. 16.4.2014 – 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277, 1281; a.A. BT-Drucks. 18/1558, S. 85). Gleiches gilt bzgl. Nachtarbeit, z.B. Nachtzuschlag für Nachtwächter (Wortmann ArbRB 2014, 346, 348; Schweibert/Leßmann DB 2014, 1866, 1869).
  • Akkord- und Qualitätsprämien sowie Schmutz- und Gefahrenzulagen, da sie die besondere Qualität der Arbeit bzw. besondere Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, z.B. Schmutz, Gefährlichkeit der Arbeit etc., honorieren sollen (vgl. EuGH, Urt. v. 14.4.2005 – C-341/02, NZA 2005, 573).
  • Jährliche Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld sind nur anrechenbar, falls sie die "Normalleistung" des Arbeitnehmers vergüten. Darüber hinaus sind Sonderleistungen nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359) nur auf den Mindestlohn anrechenbar, wenn sie dem Arbeitnehmer jeweils zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt werden. Mit Blick auf die Anordnung des § 2 MiLoG, wonach der Mindestlohn nach der vereinbarten (vertraglichen) Fälligkeit, spätestens jedoch am le...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge