Das Bundesarbeitsministerium arbeitet derzeit an einer Novelle des Arbeitszeitrechts. Es reagiert damit auf die inzwischen allgemein als „Stechuhrurteil” bezeichnete Grundsatzentscheidung des BAG vom September vergangenen Jahres, in der die höchsten deutschen Arbeitsrichter – eher beiläufig – festgehalten haben, dass infolge der europäischen Vorgaben auch in Deutschland eine Pflicht der Arbeitgeber zur umfassenden Arbeitszeiterfassung aller Mitarbeitenden besteht (vgl. Anwaltsmagazin ZAP 2022, 966).

Nach den inzwischen bekannt gewordenen Plänen aus dem Bundesarbeitsministerium sollen deshalb in Zukunft alle Arbeitgeber verpflichtet werden, Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen, und zwar möglichst in elektronischer Form (s. dazu Anwaltsmagazin, ZAP 2023, 422). Zur Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung für (angestellte) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte hat sich kürzlich schon der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisch ausgelassen (s. Anwaltsmagazin, ZAP 2023, 261). Ein noch größeres Fragezeichen kann man hinter die Überlegung setzen, ob künftig auch alle Richterinnen und Richter die Stechuhr bzw. deren moderne Pendants benutzen sollen. Denn für diese Berufsgruppe gilt seit jeher – und inzwischen von allen obersten Bundesgerichten bestätigt –, dass es zum „Wesenskern” der richterlichen Tätigkeit gehört, auch die eigene Arbeitszeit eigenverantwortlich zu gestalten. Dies folge zwingend aus der verfassungsrechtlich verbürgten Unabhängigkeit der Justiz.

Presseberichten zufolge plädieren aus diesen Erwägungen sowohl Bundesarbeitsminister Heil als auch Bundesjustizminister Buschmann dafür, die Richterschaft vom Anwendungsbereich der novellierten Arbeitszeiterfassungsregelungen auszunehmen. Arbeitsrechtsexperten zufolge wäre dies aber europarechtlich riskant. Streng genommen gelten nämlich die EU-Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung für sämtliche abhängig Beschäftigten – und damit auch für die Beamten- und Richterschaft. Und so könnte die Angelegenheit wieder einmal beim EuGH landen. Der müsste dann auch in eigener Sache entscheiden, denn auch die Luxemburger Europarichter sind Arbeitnehmer. Sie müssten sich dann die Frage stellen, wie sinnvoll eine Arbeitszeiterfassung für Tätigkeiten ist, die im Grunde gar keiner Zeitkontrolle unterliegen. Womöglich kommen sie zu dem Schluss, dass für sie und ihre Richterkollegen eine Arbeitszeiterfassung ebenso nützlich wäre wie etwa bei Examenskandidaten oder bei Weltumseglern.

[Red.]

ZAP F., S. 514–522

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