– Teil 1: Materiell-rechtliche Fragen

I. Grundgedanken

Die Eltern sind verpflichtet, den Lebensbedarf des Kindes sicherzustellen. Diese Unterhaltspflicht endet erst, wenn das Kind eine eigenständige Lebensstellung erlangt hat und damit in der Lage ist, wirtschaftlich "auf eigenen Beinen" zu stehen. Dann greift der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung des Kindes.

Zum Lebensbedarf des Kindes gehören daher gem. § 1610 Abs. 2 BGB auch die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf und die Kosten der Erziehung. Jedes Kind hat also einen Anspruch auf Finanzierung einer seinen Fähigkeiten entsprechenden schulischen und beruflichen Ausbildung. Der Normalfall eines Unterhaltsanspruchs eines volljährigen Kindes ist daher der Ausbildungsunterhalt (zu Sonderfällen s. unten II.). Besucht das volljährige Kind noch die allgemeinbildende Schule, steht seine Unterhaltsbedürftigkeit nach den §§ 1602, 1610 Abs. 2 BGB außer Frage (BGH NJW 2011, 670). Umgekehrt ist daraus zu folgern, dass das Kind nach Abschluss seiner Ausbildung eine eigene Lebensstellung erreicht hat, daher grundsätzlich seinen Unterhalt selbst sicherstellen muss und keinen Unterhalt mehr von den Eltern verlangen kann.

Macht ein volljähriges Kind Unterhaltsansprüche geltend, so sind in der Praxis für die Bewertung des vom Kind geltend gemachten Unterhaltsanspruchs folgende Fragen von Bedeutung:

  • Wird eine begabungsbezogene, angemessene Erstausbildung angestrebt oder liegt eine Zweitausbildung vor, deren Finanzierung von den Eltern nicht mehr geschuldet wird?
  • Genügt das Kind seinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten?
  • Wie hoch ist der unterhaltsrechtliche Bedarf des Kindes?
  • Ist eine fortbestehende Unterhaltsbedürftigkeit des anspruchstellenden Kindes gegeben?
  • Wie errechnet sich die Haftung beider Elternteile?

Bei der Unterhaltsverpflichtung zur Finanzierung einer Ausbildung muss aber auch die Zumutbarkeit der Belastung für den Unterhaltspflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Der Anspruch des Kindes auf eine optimale – seinen Fähigkeiten angemessene – Ausbildung, findet allerdings eine objektive Grenze in der konkreten Leistungsfähigkeit der Eltern. Die Leistung von Ausbildungsunterhalt muss den Eltern in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch zumutbar sein. Wer arme Eltern hat, muss folglich notgedrungen seine Ausbildungswünsche reduzieren (soweit nicht staatliche Unterstützung eingreift). Bei dieser Zumutbarkeitsbewertung sind nicht nur die Belange des jeweils in Anspruch genommenen Elternteils, sondern auch die schutzwürdigen Interessen anderer Familienmitglieder – also auch der Geschwister – von Bedeutung. Wer viele Geschwister hat, muss deswegen ebenfalls faktische Einschränkungen seiner Unterhaltsansprüche hinnehmen.

 

Hinweis:

Von praktischer Bedeutung für die Frage der Belastung des in Anspruch genommen Elternteils ist auch, ob der geschuldete Ausbildungsunterhalt von beiden – über ausreichendes Erwerbseinkommen verfügenden – Eltern entsprechend ihrer anteiligen Haftung aufgebracht wird oder ob ein Elternteil alleine zahlen muss, weil der andere Elternteil über kein (oder kein ausreichendes) Erwerbseinkommen verfügt.

II. Ausbildungsunterhalt

1. Angemessene Ausbildung

Nach § 1610 Abs. 2 BGB hat jedes Kind seinen Eltern gegenüber einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildung, die Begabungen, Fähigkeiten, Leistungswillen und Neigungen entspricht (zum Ausbildungsunterhalt s. Volker FuR 2015, 570). Geschuldet wird daher von den Eltern eine optimale, begabungsbezogene Berufsausbildung, d.h. eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten des Kindes, seinem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen am besten entspricht. Folglich kommt den beim Kind vorhandenen persönlichen Voraussetzungen maßgebliche Bedeutung zu (BGH FamRZ 2000, 420). Allein das Bestehen des Abiturs verpflichtet die Eltern nicht zwangsläufig dazu, ein Hochschulstudium zu finanzieren (BGH FamRZ 2000, 420, 422).

Hat sich das volljährige Kind in Abstimmung mit den Eltern für einen bestimmten Abschluss entschieden, so besteht die Unterhaltspflicht bis zum Regelabschluss fort (OVG Hamburg FamRZ 2006, 1615). Umgekehrt folgt daraus, dass in der Regel kein Anspruch gegen die Eltern auf Finanzierung einer Zweitausbildung oder nicht notwendigen Weiterbildung besteht, wenn das Kind eine Ausbildung erhalten hat, die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält (Sächsisches LSG, Urt. v. 18.7.2013 – L 3 AL 59/10).

Nach einem erfolgreichen Abschluss der gewählten Ausbildung kommt daher ein weiterer Anspruch gegen die Eltern allenfalls bei Erkrankung oder Behinderung mit Erwerbsminderung in Betracht (BGH FamRZ 1997, 281; s. unten III.).

Ausnahmen werden nur unter besonderen Umständen angenommen:

  • wenn der Beruf etwa aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nich...

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