1 Leitsatz

Der Gebrauch und die Benutzung einer Wohnung als Allgemeinarztpraxis stören regelmäßig mehr als ein Gebrauch und die Benutzung für ein Wohnen.

2 Normenkette

§§ 1, 10, 14 WEG; § 242 BGB

3 Das Problem

Mieter B2 betreibt seit 1995 im Sondereigentum eines Wohnungseigentums eine Allgemeinarztpraxis. Dagegen geht die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Jahr 2019 vor, und zwar sowohl gegen den Vermieter B1 als auch gegen B2.

4 Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Verstoße ein Wohnungseigentümer gegen eine Gebrauchs- und Benutzungsvereinbarung, begründe dies allein noch keinen Unterlassungsanspruch. Die übrigen Wohnungseigentümer könnten nämlich nur dann Unterlassung des zweckbestimmungswidrigen Gebrauchs verlangen, wenn dieser mehr störe als der zweckbestimmungsgemäße Gebrauch. Ob dies der Fall sei, sei anhand einer typisierenden generellen Betrachtungsweise zu beurteilen, wobei Beeinträchtigungen weder vorgetragen noch nachgewiesen werden müssten. Dieser Maßstab führe hier dazu, dass die Nutzung und der Gebrauch mehr störten als eine typische Wohnnutzung. Dies bereits deshalb, weil das übliche Besucheraufkommen einer Praxis – hier mit bis zu 50 Personen am Tag – das übliche Besuchsaufkommen einer Wohnung weit übersteige, zumal es sich um kranke Personen handele, die zudem mit den Wohnungseigentümern nicht in persönlichen Beziehungen stünden.

Der Unterlassungsanspruch sei aber verwirkt (§ 242 BGB)! Zwar löse in Fällen, in denen mit Unterlassungsansprüchen, die aus dem Besitz bzw. dem Eigentum abgeleitet würden, wiederholte gleichartige Störungen abgewehrt werden sollen, die zeitlich unterbrochen aufträten, jede neue Einwirkung einen neuen Anspruch aus. Dennoch sei die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs aber nicht durchsetzbar, wenn die Wohnungseigentümer einen solchen Anspruch seit Jahrzehnten nicht erhoben, sondern im Gegenteil zu erkennen gegeben hätten, dass sie mit der Nutzung einverstanden seien (Hinweis auf BGH, Beschluss v. 25.3.2010, V ZR 159/09).

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es zum einen um die Frage, ob nach einer typisierenden Betrachtungsweise die Nutzung bzw. der Gebrauch einer Wohnung durch eine Allgemeinarztpraxis mehr stört als ein Wohnen. Das bejaht das LG mit der ganz h. M. Zum anderen geht es um die Frage der Verwirkung.

Verwirkung

Bei der Frage der Verwirkung knüpft das LG, wohl bewusst, an eine BGH-Entscheidung an, die offensichtlich ein "Ausreißer" ist. Beim BGH trug ein Wohnungseigentümer nämlich erstmals in der Revision vor, beim Erwerb seines Wohnungseigentums davon ausgegangen zu sein, die "Teileigentumseinheit" des Beklagten dürfe nicht zum Betrieb einer Gaststätte genutzt werden. Der BGH selbst nennt seine Annahme, der Anspruch sei verwirkt, einen "besonders gelagerten Einzelfall" (BGH, Urteil v. 8.5.2015, V ZR 178/14, Rn. 14). Außerdem hätte geklärt werden müssen, ob Sondernachfolger gebunden sind (vgl. BGH, Urteil v. 8.5.2015, V ZR 178/14, Rn. 14; BGH, Urteil v. 10.7.2015, V ZR 169/14, Rn. 16) und ob die Wohnungseigentümer ihre Duldung ändern können (BGH, Urteil v. 10.7.2015, V ZR 169/14, Rn. 16). Es hätte daher m. E. die Revision zugelassen werden müssen!

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Die Verwaltung muss namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen jeden Verstoß gegen eine Gebrauchs- und Benutzungsvereinbarung vorgehen. Er muss mindestens abgemahnt werden. Außerdem müssen die Wohnungseigentümer informiert werden. Im Einzelfall kann die Verwaltung nach § 27 WEG oder nach einer Vereinbarung aber auch weitere Schritte unternehmen.

6 Entscheidung

LG Frankfurt a. M., Urteil v. 31.3.2022, 2-13 S 131/20

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