1 Leitsatz
Wohnen ist öffentlich-rechtlich die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts verbundenen Tätigkeiten. Auf die subjektiven Vorstellungen, Bedürfnisse und (kulturellen) Gewohnheiten der Nutzer/innen kommt es nicht an.
2 Normenkette
§ 80 VwGO
3 Das Problem
Wohnungseigentümerin K ist seit Februar 2023 Eigentümerin einer 60 m2 großen Wohnung. Noch im Februar informiert die Verwalterin das Bezirksamt über eine von ihr in der Wohnung vermutete gewerbliche Nutzung. Hierzu vom Bezirksamt angehört erklärt K, die Wohnung für 1 Jahr vermietet zu haben. Als Nachweis reicht sie einen mit 4 Personen unterzeichneten Mietvertrag ein. Eine Ortsbegehung ergibt, dass die Wohnung von 4 Personen bewohnt wird. In einem kleinen Raum werden 3 Schlafplätze festgestellt; ein größerer Raum, der über eine Küchenzeile verfügt, dient einer weiteren Person als Schlafstelle. Außer einer Couch enthalten die Räumlichkeiten keine Möbel. Das Bezirksamt fordert K daher auf, den Wohnraum bis zum Juni 2023 wieder Wohnzwecken zuzuführen. Zugleich droht es für den Fall, dass K der Aufforderung nicht oder nicht fristgemäß nachkomme, ein Zwangsgeld an. Dabei sei die Androhung so zu verstehen, dass ein Zwangsgeld so lange nicht festgesetzt werde, wie K zügig alle rechtlich und tatsächlich möglichen Schritte unternehme, die Wohnung wieder Wohnzwecken zuzuführen. Zur Begründung führt das Bezirksamt aus, die Wohnung werde zweckfremd genutzt, da mehrere Personen ohne offensichtliches bzw. nachgewiesenes Näheverhältnis, das in seiner Intensität deutlich über übliche Verbindungen in der Sozialsphäre hinausgehe, in einem Raum lebten. Dagegen geht K vor: 2 der Mieter seien miteinander verwandt. Es sei der Wunsch der 4 Herren gewesen, die Wohnung gemeinsam zu beziehen. Die wohnungsaufsichtsrechtliche Mindestwohnfläche pro Person sei eingehalten. Mit Bescheid vom 6.6.2023 setzt das Bezirksamt dennoch ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 EUR fest und droht ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 15.000 EUR für den Fall an, dass K der Wohnzuführungsaufforderung nicht bis zum 1.7.2023 nachkomme. Mit ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt K ihr Begehren weiter.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen gehe zulasten der K aus. Sowohl die Wohnzuführungsaufforderung als auch die zu ihrer Durchsetzung ergangene Zwangsgeldfestsetzung seien rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Wohnzuführungsaufforderung sei § 4 Abs. 1 Satz 1 ZwVbG. Werde Wohnraum ohne die erforderliche Genehmigung zweckentfremdet, solle das zuständige Bezirksamt danach anordnen, dass Verfügungs- oder Nutzungsberechtigte die Wohngebäude, Wohnungen oder Wohnräume wieder Wohnzwecken zuzuführen haben (Wohnzuführungsgebot). Hierfür setze es eine Frist, die im Regelfall 1 Monat betrage (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 ZwVbG). Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Insbesondere liege eine für die Anordnung eines Wohnzuführungsgebots erforderliche genehmigungsbedürftige zweckfremde Nutzung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 ZwVbG vor. Denn die 4 Männer nutzten die Räumlichkeiten nicht zu Wohnzwecken. "Wohnen" sei öffentlich-rechtlich die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts verbundenen Tätigkeiten. Auf die subjektiven Vorstellungen, Bedürfnisse und (kulturellen) Gewohnheiten der Nutzer komme es nicht an. Der Begriff des Wohnens setze ein Mindestmaß an Abgeschlossenheit der räumlichen Verhältnisse zur eigenständigen Gestaltung des häuslichen Lebens voraus, was auch gewisse Rückzugsmöglichkeiten einschließe. Zum Begriff des Wohnens gehöre, dass Wohnungsinhabern wenigstens ein Raum während des gesamten Tages zur privaten Verfügung stehe und dieser Raum die Möglichkeit biete, darin den Tätigkeiten und Nutzungsweisen nachzugehen, denen die Wohnung diene – zum Schlafen, zur Einnahme der Mahlzeiten, zur Pflege der Familiengemeinschaft und Entfaltung der Geselligkeit sowie in vielfacher Beziehung zur Freizeitgestaltung. An diesen Voraussetzungen fehle es. Zwar biete die Wohnung eine Kochgelegenheit in dem größeren der beiden Räume und den Mietern somit zumindest die Möglichkeit zur Eigenversorgung. Allerdings scheide dadurch für die 2 nach Angaben der K in diesem Zimmer schlafenden Personen ein Rückzug ins Private von vornherein aus. Nichts Anderes gelte im Ergebnis für die Bewohner des übrigen, deutlich kleineren Raums, der gerade einmal 9 m2 messen dürfte und der Schlafstellen für 3 Leute beherberge. Hinzu komme, dass die Wohnung mit Ausnahme einer Couch keinerlei Möbel enthalte, die Bewohner mithin aus ihrem Koffer lebten.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob die 4 Männer die Wohnung aus öffentlich-rechtlicher Sicht bewohnen.
Kein Wohnen
Das VG verneint die Frage. Aus öffentlich-rechtlicher Sicht ist hieran nichts zu erinnern. Aus wohnungseigentumsrechtlicher Sicht dürfte der Vertrag zwischen K und den Männern aber ein Mietvertrag im Sinne von § 13 Abs. 1 WEG sein. Man kann allerdings fragen, ob ein Wohnungse...