Leitsatz

  1. Kein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung eines den Kläger begünstigenden Negativbeschlusses
  2. Widerlegung der Kausalitätsvermutung bei Beschlussanfechtung wegen eines Formmangels durch den Nachweis, dass der Beschluss "mit Sicherheit" auch ohne den Formverstoß inhaltsgleich gefasst worden wäre
  3. Beschlussfassung über einen Fenstereinbau mit flankierendem Duldungsanspruch
  4. Abstimmungsberechtigung eines Betreuers
 

Normenkette

§ 25 WE; § 256 ZPO

 

Kommentar

  1. Begünstigt ein verkündeter Negativbeschluss (erforderliches, jedoch nicht erreichtes Abstimmungsquorum) einen Anfechtungskläger, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung (hier: Beschlussfassung zur Veräußerung/Zwangsversteigerung der klägerischen Wohnung)
  2. Leidet ein angefochtener positiver Beschluss an einem Ladungsmangel (ungenügende Ankündigung des Beschlussgegenstands im Einladungsschreiben), kann ausnahmsweise die Kausalitätsvermutung für einen Einberufungsmangel widerlegt werden. Vorliegend richteten sich alle relevanten Abstimmungen stets gegen den Kläger nach dem Prinzip "alle gegen einen (den Kläger)". Für das Gericht kann vorliegend der sichere Schluss gezogen werden, dass auch bei formell korrekter Ankündigung in der Gemeinschaft nicht anders abgestimmt worden wäre. Die im Übrigen im Gesellschaftsrecht favorisierte Relevanztheorie hat – jedenfalls bisher – in das Wohnungseigentumsrecht noch keinen Einzug gefunden (vgl. zur Thematik auch Dötsch/Hogenschurz, NZM 2010, S. 297/302 ff.). Ausgehend von Kausalitätsvermutungen bei Verletzung von Sollvorschriften, hat auch das OLG Hamburg anerkannt, dass eine solche Vermutung durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass ein Beschluss mit Sicherheit – nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit – auch ohne den Verstoß inhaltsgleich gefasst worden wäre (OLG Hamburg, ZMR 2006 S. 704 und BGH, ZMR 2002 S. 440). An den Nachweis eines Mangels sind strenge Anforderungen zu stellen. Kausal ist etwa ein Ladungsmangel, wenn er die Teilnahme an der Aussprache und an der Abstimmung konkret beeinträchtigt und hierdurch das Abstimmungsergebnis relevant beeinflusst worden sein konnte. Das bedeutet im Gegenzug, dass fehlende Kausalität nur anzunehmen ist, wenn bei vernünftiger Betrachtung nicht ernsthaft mit der Möglichkeit zu rechnen war, dass Eigentümer bei formell korrekter Ladung anders abgestimmt hätten. Hiervon war vorliegend auszugehen (ähnlich auch LG München I, ZMR 2011 S. 237 und LG Hamburg v. 29.9.2011, ZMR 2012 S. 121).
  3. Im Rahmen einer Beschlussanfechtung ist auch nicht zu prüfen, ob ein gerichtlich durchzusetzender Duldungsanspruch besteht (hier: Duldung eines Fenstereinbaus). Um das Kriterium ordnungsgemäßer Verwaltung zu erfüllen, ist es nicht erforderlich, dass im Rahmen der Beschlussfassung der Anspruch bereits als bestehend feststeht; es genügt vielmehr, dass die Eigentümerversammlung das Bestehen eines solchen Anspruchs für plausibel halten durfte (vgl. auch OLG München, ZMR 2010 S. 469). Auch vorliegend hatte die Gemeinschaft nicht konstitutiv eine Pflicht des Klägers beschlossen, vielmehr lediglich die gerichtliche Durchsetzung des Fenstereinbaus; daneben wurde flankierend Duldung des Fenstereinbaus mitbeschlossen, im Übrigen mit Berechtigung einer Anwaltsbeauftragung zur Geltendmachung der Ansprüche.
  4. Betreuung eines Eigentümers mit dem Wirkungskreis "Vermögenssorge" erfasst auch Abstimmungsberechtigung des Betreuers in der Eigentümerversammlung; damit ist ein solcher Betreuer wie ein gesetzlicher Vertreter für einen ansonsten stimmberechtigten Eigentümer zuzulassen.
Anmerkung

Zu umstrittenen Kausalitätsfragen bei Beschlussanfechtungen etwa wegen Verletzung des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes von/in Eigentümerversammlungen vgl. auch meinen Aufsatz in ZMR, Heft 2014, auch mit kritischer Anmerkung zum insoweit noch nicht rechtskräftigen Urteil des AG München v. 19.12.2013 (483 C 33043/12 WEG, derzeit in der Berufung beim LG München I unter Az. 36 S 2567/14 WEG). Das Amtsgericht München hat in vorgenannter Entscheidung wohl erstmals sehr deutlich die zum Schutz von Kleinaktionären durch den BGH festgestellte Relevanztheorie nach dem Aktienrecht auch für das Wohnungseigentumsrecht für anwendbar erklärt, insbesondere im Rahmen des vom AG als gesetzlich zwingend erachteten Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit einer jeden Wohnungseigentümerversammlung.

 

Link zur Entscheidung

AG Hamburg-Blankenese, Urteil vom 04.09.2013, 539 C 30/12

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