Leitsatz

Erkennt der Bevollmächtigte einer Partei, dass er einen Schriftsatz per Telefax nicht mehr fristgerecht an das zuständige Gericht übermitteln kann, kann er unter Umständen auch dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten, wenn er den Schriftsatz in anderer Weise noch rechtzeitig hätte übermitteln können. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen die Unmöglichkeit der rechtzeitigen Übermittlung per Telefax ihren Grund in der Sphäre des Gerichts findet.

 

Sachverhalt

Die Beklagten haben beim OLG fristgemäß Berufung gegen eine landgerichtliche Entscheidung eingelegt, aber nicht rechtzeitig begründet. Sie beantragen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, ihr sachbearbeitender Prozessbevollmächtigter sei in Urlaub gewesen. Wegen der hiermit verbundenen Überlastung habe sein Vertreter die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um 14 Tage herbeiführen wollen. Er habe am letzten Tag der Frist ab 19.44 Uhr vergeblich versucht, den zur Fristverlängerung notwendigen Antrag per Fax an das OLG zu versenden. Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die erfolgreiche Rechtsbeschwerde der Beklagten.

 

Entscheidung

Das OLG hatte die Auffassung vertreten, die Berufungsbegründungsfrist sei nicht ohne Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten versäumt worden. Nach seinen langwierigen vergeblichen Übermittlungsversuchen habe ihm klar sein müssen, dass der Antrag auf diesem Wege nicht fristgerecht gestellt werden konnte. Er habe daher eine andere zumutbare Möglichkeit, wie die Aufgabe eines Blitztelegramms, die Beauftragung eines Kurierdienstes mit 24-Stunden-Service oder die Übersendung des Fax an ein am Gerichtsort residierendes Rechtsanwaltsbüromit der Bitte um Einwurf in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts, ergreifenmüssen, umden Antrag bis 24.00 Uhr zu übermitteln, oder aber selbst mit dem Auto zu dem Gericht fahrenmüssen. Dem tritt der BGH entschieden entgegen.

Der Senat verweist erneut auf die besondere Bedeutung, die der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes genießt. Den Gerichten sei nicht erlaubt, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer Weise zu erschweren[1]. Die Gerichte dürften daher bei der Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen[2].

Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist nach allgemeiner Auffassung in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Zwar muss der Rechtssuchende selbst zumutbare Anstrengungen unternehmen. Die aus der Wahl des Übermittlungswegs per Telefax herrührenden besonderen Risiken der technischen Gegebenheiten des gewählten Kommunikationsmittels dürfen aber nicht auf den Nutzer des Mediums abgewälzt werden, wenn die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts liegt[3].

So war es nach Feststellungen des Gerichts indes hier. Nach Auskunft des OLG beruhte die Unmöglichkeit, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, darauf, dass in dessen beiden Faxgeräten nicht genügend Papier eingelegt war. Dieses Versäumnis des Gerichts kann nach Meinung des BGH nicht dazu führen, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten den für die Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eröffneten Weg zu versagen. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn der Verlängerungsantrag einer anderen Stelle des OLG fristwahrend per Fax hätte übermittelt werden können[4].

 

Praxishinweis

Im Streitfall hatte der Prozessbevollmächtigte zwar mit seinem Wiedereinsetzungsantrag Erfolg. Dennoch können ähnliche Anträge auch an Beweisproblemen scheitern. Nicht immer wird ein Gerichtsmitarbeiter z.B. eigene Versäumnisse ohne Weiteres eingestehen wollen. Auch werden technische Störungen bei Faxgeräten – unabhängig hiervon – nicht immer ausreichend in den geräteinternen Fehlerprotokollen dokumentiert. Im Zweifel sollte sich der sorgfältige Rechtsbeistand daher nicht auf Wiedereinsetzungsmöglichkeiten verlassen. In kritischen Fällen kann – trotz dieser beraterfreundlichen Entscheidung des BGH – die Einschaltung eines Kurierdienstes oder die Übermittlung an einen am Gerichtsort ansässigen Kollegen zum Einwurf in der Gerichtsbriefkasten tatsächlich der gebotene Weg sein, um komplizierte Wiedereinsetzungsprobleme zu umgehen. Stets sollte der umsichtige Berufsangehörige aber seine vergeblichen Aktivitäten und Übermittlungsversuche ausreichend dokumentieren, z.B. durch die Beteiligung eines Mitarbeiters, der später als Zeuge zur Verfügung steht.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Beschluss vom 20.02.2003, V ZB 60/02

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