Leitsatz

Die unrichtige Einordnung einer Sache in einer Rechtsmittelbelehrung als WEG- oder als allgemeine Zivilsache ist nicht offenkundig falsch.

 

Normenkette

ZPO §§ 85 Abs. 2, 233; GVG § 72 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2

 

Das Problem

Das Amtsgericht – Wohnungseigentumsgericht – gibt der Klage von Wohnungseigentümer K statt (Rückschnitt einer Hecke von 3,50 m auf 1,80 m). In seiner Rechtsmittelbelehrung bezeichnet das Amts- das Landgericht Görlitz als zuständiges Berufungsgericht. Dorthin legt Rechtsanwalt R, der Prozessbevollmächtigte des B, auch fristgemäß Berufung ein. Einen Monat danach beantragt R – rechtzeitig – die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Das Landgericht Görlitz weist jetzt auf seine Unzuständigkeit hin. R legt daraufhin – zu spät – Berufung beim Landgericht Dresden als dem in Sachsen gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG für WEG-Sachen zuständigen Berufungsgericht ein. Zugleich begründet R die Berufung und beantragt Wiedereinsetzung. Das Landgericht Dresden weist den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwirft die Berufung als unzulässig. R als "Nichtfachanwalt" habe auf die Rechtsmittelbelehrung nicht vertrauen dürfen. Mit Blick auf § 72 Abs. 2 habe es nahegelegen, die Zuständigkeit des Landgerichts Görlitz zu überprüfen. Gegen diese Beurteilung wendet sich B mit der Rechtsbeschwerde.

 

Die Entscheidung

Mit Erfolg! B habe die Berufungsfrist ohne Verschulden des R, das er sich zurechnen lassen müsste, versäumt. Auch eine anwaltlich vertretene Partei dürfe sich im Grundsatz auf eine Rechtsbehelfsbelehrung verlassen. Das Landgericht überspanne die Anforderungen an einen entschuldbaren Rechtsirrtum, wenn es annehmen, eine eigene Rechtsprüfung des R habe aufgrund der besonderen Zuständigkeitsregelung in § 72 Abs. 2 GVG nahegelegen. Das Landgericht lasse außer Acht, dass ein vermeidbarer Rechtsirrtum schon dann entschuldbar sei, wenn eine Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft sei. Eine Rechtsmittelbelehrung sei in diesem Sinne "offenkundig" fehlerhaft, wenn sie – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermocht habe. Nach diesem Maßstab unterliege der Rechtsanwalt in der Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer WEG-Sache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlege. Dies ergebe sich zum einen aus § 72 Abs. 2 Satz 2 GVG. Hiernach sei nicht zwingend das in § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG genannte Landgericht am Sitz des Oberlandesgerichts für Berufungen in WEG-Sachen zuständig. Zum anderen fehle es an einer Offenkundigkeit, weil die Frage, ob eine Sache eine WEG-Sache ist, nach § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG und nicht danach zu entscheiden sei, welches Ausgangsgericht entschieden habe.

 

Kommentar

Anmerkung
  1. Erteilt das Gericht eine inhaltlich unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung, soll ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen dürfen. Anders soll es im Ausnahmefall sein, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung "offenkundig" falsch ist. Die Entscheidung klärt insoweit, dass die Einordnung einer Sache als WEG- oder als allgemeine Zivilsache in der Regel nicht offenkundig falsch ist.
  2. Auf das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander können bundes- und landesrechtliche Vorschriften des Nachbarrechts entsprechend angewendet werden, wenn die Wohnungseigentümer vereinbart haben, dass sie räumlich abgegrenzte Teile des gemeinschaftlichen Grundstücks allein, also unter Ausschluss der übrigen Eigentümer, als Garten nutzen dürfen. Die landesrechtlichen Nachbarvorschriften konkretisieren insoweit den Inhalt des Gebots zur Rücksichtnahme gemäß § 14 Nr. 1 WEG.

Was ist für den Verwalter wichtig?

Der Verwalter darf eine Hecke – ist sie zu hoch gewachsen – nicht einfach kürzen oder kürzen lassen. Die Hecke steht in aller Regel im gemeinschaftlichen Eigentum (LG Hamburg v. 25.2.2015, 318 S 110/14, ZWE 2016, S. 24, 25). Greift der Verwalter eigenmächtig in die Hecke ein, schuldet er Schadensersatz (LG Hamburg v. 25.2.2015, 318 S 110/14, ZWE 2016, S. 24, 25).

 

Link zur Entscheidung

BGH, Beschluss v. 9.3.2017, V ZB 18/16

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