Rz. 1

Der ordentliche Pflichtteil ist gem. §§ 2303, 2311 BGB nach dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls real vorhandenen Nachlasses zu berechnen. Würde das Gesetz an dieser Stelle Halt machen, hätte der Erblasser also ohne weiteres die Möglichkeit, das Pflichtteilsrecht seiner nächsten Angehörigen, also deren gesetzlich fixierte und verfassungsrechtlich garantierte[1] Mindestbeteiligung an seinem Vermögen, dadurch auszuhebeln, dass er sich noch zu Lebzeiten vermögenslos stellt. Daher sieht das Gesetz in §§ 2325 ff. BGB Regelungen vor, durch die lebzeitige unentgeltliche Verfügungen des Erblassers bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt werden können.

 

Rz. 2

Der Berechtigte kann eine Ergänzung des realen Nachlasses verlangen, soweit dieser durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers geschmälert wurde. Eine Benachteiligungsabsicht des Erblassers ist nicht erforderlich. Da es sich beim Pflichtteilsergänzungsanspruch um einen eigenständigen, neben dem ordentlichen Pflichtteil stehenden Anspruch handelt, ist das Bestehen eines Anspruchs nach § 2303 BGB nicht Bedingung für die Geltendmachung des Ergänzungsanspruchs. So hat auch der zum Erben oder Vermächtnisnehmer berufene Pflichtteilsberechtigte die Möglichkeit, im Hinblick auf lebzeitige Schenkungen einen Ausgleich zu verlangen und auf diese Weise auch bei Annahme des Hinterlassenen wertmäßig seinen Gesamtpflichtteil (Summe aus ordentlichem Pflichtteil und Ergänzungspflichtteil) zu realisieren. Auch wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch durch eine nicht von § 2306 BGB bzw. von § 1371 Abs. 3 BGB gedeckte Ausschlagung verloren haben sollte, kann ihm ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen.[2] Ein über den Gesamtpflichtteil hinausgehender Anspruch ist nach § 2326 BGB ausgeschlossen.[3]

 

Rz. 3

Allerdings werden nicht alle lebzeitigen Schenkungen des Erblassers i.R.d. Pflichtteilsergänzungsanspruchs berücksichtigt. Zum einen scheiden Anstandsschenkungen gem. § 2330 BGB zur Rechtfertigung von Ergänzungsansprüchen aus. Zum anderen ist die Zeitschranke des § 2325 Abs. 3 BGB zu beachten. Sind seit der Ausführung der Schenkung wenigstens zehn Jahre verstrichen, kommt ein Ergänzungsanspruch nicht mehr in Frage. Der Gesetzgeber ging dabei davon aus, dass innerhalb dieses Zeitraums sowohl der Erblasser als auch der Pflichtteilsberechtigte ausreichend Gelegenheit hätten, sich an die neue Vermögenssituation zu gewöhnen. Vor diesem Hintergrund besteht hinsichtlich des weggegebenen Vermögens auch keine Erberwartung des Pflichtteilsberechtigten mehr, die im Todesfall enttäuscht werden könnte. Besonderheiten bestehen aber für Geschenke an den Ehegatten bzw. den gleichgeschlechtlichen Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Hier beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe/Partnerschaft zu laufen. Auf diese Weise soll vor allem dem angeblichen Risiko missbräuchlicher Gestaltungen vorgebeugt werden. Denn unter Ehegatten könnte es nahe liegen, zwar das zivilrechtliche Eigentum zu verschieben, die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit des Schenkers aber unbeeinträchtigt zu lassen.

 

Rz. 4

Durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts[4] wurde § 2335 Abs. 3 BGB dahingehend ergänzt, dass auch während des Laufs der vorerwähnten Zehnjahresfrist der Wert einer unentgeltlichen Zuwendung nicht in vollem Umfange dem Nachlass hinzuzurechnen ist. Es gilt seitdem ein Abschmelzungsmodell, demzufolge der Wert der Schenkung mittels einer pro-rata-Regelung (Abs. 3 S. 2)[5] kontinuierlich abgeschmolzen wird. Schenkungen werden daher nur noch dann, wenn sie zum Zeitpunkt des Erbfalles nicht mehr als ein Jahr zurückliegen, in vollem Umfange berücksichtigt. Für jedes Jahr, das zwischen dem Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung und dem Eintritt des Erbfalls verstrichen ist, wird der zu berücksichtigende Wert um 1/10 gekürzt.[6] Der Beginn der Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB – und zwar sowohl im Hinblick auf den vollständigen Entfall der Pflichtteilsergänzung als auch im Hinblick auf die Abschmelzung – erfordert im Übrigen nach der Rechtsprechung, dass über den Wortlaut des Gesetzes hinaus der Schenker nicht nur das zivilrechtliche Eigentum überträgt, sondern auch tatsächlich auf den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes verzichtet. Die Abgrenzung kann hier im Einzelfall schwierig sein. Ein weiteres Problem der Praxis bildet die Schwierigkeit der Beteiligten, die für den Ergänzungsanspruch maßgeblichen Umstände, insbesondere die anzusetzenden Werte zu ermitteln.

 

Rz. 5

Im Regelfall ist Schuldner des Ergänzungsanspruchs der Erbe. Als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers hat er auch für die Schmälerung des ordentlichen Pflichtteils einzustehen.[7] Ist der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt, kann er die Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2328 BGB verweigern, soweit durch die Erfüllung sein eigener (rechnerischer) Pflichtteil beeinträchtigt würde. Außerdem kann sich der Erbe die beschränkte Haftung vorbehalten (§ 780 ZPO)...

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